Zara Khanna trifft Staatschef:innen, schreibt Bücher und hat einen Reise-Chatbot programmiert – mit zwölf Jahren. Eine visionäre Gründerin mit dem (Eigen-)Sinn für Abenteuer.
Die Ferien sind vorbei, Schulbeginn in Singapur. Zara Khannas Freund:innen berichten von ihren Reisen nach Europa. Ein Kind hat im Pariser Louvre Leonardo da Vincis berühmtestes Gemälde, die Mona Lisa, gesehen und ist unbeeindruckt von dem Bild mit den „ineinander verlaufenden Farben”. Auch die Reaktion auf das 5000 Jahre alte Monument Stonehenge fällt eher nüchtern aus: ein Haufen großer Felsbrocken, nur eben in England.
„Meine Freund:innen haben gar nicht begriffen, wie bedeutend die Kultur und Geschichte hinter diesen Dingen ist”, erzählt die zwölfjährige Singapurerin im Videoanruf. “Genau das wollte ich ändern.”
Kurzum verband Khanna die eigene Reiselust mit ihrer Tech-Kompetenz und programmierte Octa – einen Chatbot, der Familien kinderfreundliche Aktivitäten an Reisezielen weltweit vorschlägt. Aber eben gefiltert durch die begeisterten Augen eines Kindes.
Aus der Idee, die Khanna in ihrem Kinderzimmer entwickelte, ist mittlerweile ein eigenes Unternehmen geworden – mit einem kleinen Team, dass den Bot mit Daten füllt und aktualisiert. Mit der Unterstützung ihrer Eltern sei die junge Gründerin nun, erzählt sie, auch mit Hotelketten wie Marriott und Carlton sowie Airbnb im Gespräch, die Octa in ihren Internetauftritt integrieren möchten. Das kommt Khanna gelegen, denn sie will künftig beim Bot Machine Learning anwenden, braucht dafür aber mehr Nutzer:innen-Daten. Die größere Reichweite wäre also durchaus willkommen.
„Widerstandsfähig, unternehmungslustig und großartig in Technik”
Zara Khannas Geschichte ist so außergewöhnlich wie ermutigend. Die Tech-Branche gilt noch immer als Männerdomäne. Nur ein Drittel der Absolvent:innen von naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen sind Frauen. Während weltweit Unternehmen händeringend weibliche Coder:innen suchen, ließ sich die Zwölfjährige weder von Vorurteilen noch von Statistiken beirren und programmierte einfach drauf los. Sie gründete einen Programmier-Club für Schüler:innen in Kooperation mit dem ArtScience Museum in Singapur. Ganz passend heißt der Club G.R.E.A.T. Zu Deutsch steht die Abkürzung für „Mädchen: widerstandsfähig, unternehmungslustig und großartig in Technik”. Jungen kommen aber wohl trotzdem.
Technologie zu verstehen, sei für alle eine gute Sache, meint Khanna: „Man erlernt Logik, Problemlösung und Algorithmen. Technologie liefert ein ganz grundlegendes Verständnis der Welt.” Man gibt einfach etwas ein und sieht dann ja, was passiert.
Seit sie vier Jahre alt ist, dokumentiert Khanna ihre Reisen in Tagebüchern. Darin finden sich Eintrittskarten, Fotos und Sonderbarkeiten wie die Wolle eines Schafes aus Neuseeland. Mittlerweile sind es genug Bücher geworden, um ein Regalbrett zu füllen – sie hat bereits über 50 Länder besucht. Und wenn sie unterwegs etwas ganz besonderes erlebt, findet die Aktivität den Weg in das Backend von Octa, damit auch andere Kinder darauf aufmerksam werden.
Arbeitet sie nicht an dem Chatbot oder an ihren anderen Projekten, geht Khanna zur Schule, und zwar auf das United World College in Singapur. Nun wurde sie zudem an der Stanford Online High School zugelassen. Dort lernt man von unterwegs.
Ein Chatbot für Weltenbummler:innen
Gerade säße Khanna eigentlich im Zug quer durch Eurasien. Auf einem großen Globus zeichnet sie mit ihrem Zeigefinger die Route auf der weißen Landmasse nach. Vor Corona haben sie und ihr Vater schon in zwei Etappen die Strecke von Inverness, einer Kleinstadt in Schottland, über die Türkei bis nach Almaty, Kasachstan geschafft. Nach der Pandemie wollen sie von Zentralasien bis in die Heimat nach Singapur fahren. Über diese Reise hat Khanna kürzlich ein Buch veröffentlicht, das sie unterwegs geschrieben hat. Wie der Chatbot ist es ebenfalls an andere Kinder gerichtet.
Die Reiselust hat sie, das wird im Gespräch deutlich, von ihrem Vater geerbt. Parag Khanna, vom World Economic Forum als Young Global Leader ausgezeichnet, arbeitet als Autor und berät von unterwegs Regierungen weltweit. Die Mutter, Ayesha Khanna, ist ebenfalls Beraterin und zudem Gründerin eines KI-Inkubators. Forbes nannte sie 2018 eine der bahnbrechenden Unternehmerinnen Südostasiens.
Dass Khanna einen Reise-Chatbot entwickeln würde, ist letztlich die logische Verschmelzung der elterlichen Einflüsse. Schließlich berät da ein virtueller Chatbot Abenteuerlustige in Reisefragen. Wetter und Witze, aber vor allem Tipps für Aktivitäten in einer zu bereisenden Stadt können Nutzer:innen von ihm erfragen. Das kann das Eiscreme-Museum auf der 14. Straße in New York sein – nun, das ist ganz offensichtlich familienfreundlich –, aber auch die Elbphilharmonie in Hamburg. Warum die „episch” ist? Weil die längste Rolltreppe Europas Besucher:innen dort bis ganz nach oben bringt und über tausend Glasscheiben die Außenfassade sogar glitzern lassen, so der Chatbot.
200 Städte mit jeweils fünf bis zehn verschiedenen Attraktionen sind schon im System hinterlegt. Einige davon hat Khanna selbst besichtigt, die anderen Vorschläge stammen von befreundeten Kindern aus aller Welt und von Mitarbeiter:innen von Octa.
Während ihrer eigenen Reisen kam es mitunter zu kuriosen Begegnungen, erzählt Khanna im Gespräch. Mit dem Premierminister von Bhutan diskutierte sie über das Glücklichsein. Das Treffen mit dem deutschen Bundespräsidenten hat dann leider doch nicht geklappt. Und der Präsident der Mongolei, ehemals ein Wrestler, wirkte neben dem Mädchen einfach nur übermenschlich groß.
Das sind außergewöhnliche Treffen für ein Kind, die sie aber dennoch nicht nervös machen, sagt Khanna. Warum auch, aufschieben will sie das alles schließlich nicht: “Ich finde nicht, dass ich mit etwas, was ich gerne machen möchte, warten sollte, bis ich erwachsen bin.”
Titelbild: Khanna