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  • 04.02.2022
  • Miriam Meckel

Wie lange sind unsere Gedanken noch frei?

Amerikanische Tech-Pioniere wollen eine Hirn-Computer-Schnittstelle entwickeln. Darüber sollten wir dringend reden.

Eine einzige Stellenanzeige kann ziemlich viel Aufruhr verursachen. So geschehen in den vergangenen Tagen, als Elon Musks Company Neuralink die Suche nach einem Direktor für klinische Studien öffentlich machte. Weder im Auto- noch im Raketengeschäft braucht man den. Wohl aber, wenn es darum geht, das menschliche Gehirn mit dem Internet zu verbinden. Genau das will Neuralink schaffen. Das 2016 gegründete Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, eine Hirn-Computer-Schnittstelle zu entwickeln, über die sich der Mensch in Zukunft direkt ins Internet hineindenken und die eigene Hirnleistung mit den Rechenpotenzialen von KI-Systemen anreichern kann. Science-Fiction? Nicht wirklich.

Schon im August 2020 bestieg Musk eigenbeinig die große Bühne, um vorzuführen, wie die Technologie an Schweinen funktioniert. Im April 2021 veröffentlichte Neuralink ein Video, das zeigt, wie ein Affe Computertennis spielt – zunächst noch mit Joystick, dann ohne. Den Cursor lenkt der Affe schlicht mit seinen Gedanken über einen implantierten, drahtlosen Chip in seinem Hirn. Aus Pingpong wird Hirnpong.

In diesem Jahr soll der Mensch an der Reihe sein. Dafür braucht Neuralink einen erfahrenen Mediziner, der die klinischen Versuche mit den ersten menschlichen Probandinnen und Probanden durchführen und die regulatorischen Themen mit den Behörden klären soll. Musk plant mit Neuralink nicht weniger als die technologische Revolution des menschlichen Denkens.

Er ist nicht der Einzige, der an Hirn-Computer-Schnittstellen arbeitet. Mehrere große Forschungsgruppen haben sich schon vor Jahren des Themas angenommen, einige Start-ups in den USA wittern das große Geschäft mit der Braincloud der Zukunft. Zunächst einmal ist das, was viele, so auch Musk, in diesem Feld erreichen wollen, medizinisch hilfreich. Längst verzeichnet die Forschung spannende Erfolge darin, Menschen mit Locked-in-Syndrom ein Stück weit den Weg zurück in die Kommunikation mit der Welt zu eröffnen. Über eine Hirn-Computer-Schnittstelle lassen sich, vereinfacht gesagt, neuronale Signale des Gehirns auslesen und in Computertext oder Computersprache verwandeln. Für Menschen, die krankheitsbedingt vom Austausch mit der Welt und ihren Mitmenschen abgeschnitten sind, kann das ein Segen sein.

Die Frage bleibt: Was passiert, wenn kommerzielle Anbieter in dieses Feld vorstoßen? Da geht es weniger um die Linderung von krankheitsbedingten Einschränkungen als um die ökonomischen Verlockungen einer nächsten Zündstufe in der Vernetzung der Menschheit. Zum ersten Mal aufmerksam wurde die Weltöffentlichkeit, als Facebook im August 2019 ankündigte, an einer nicht invasiven Technologie fürs Gedankenlesen zu arbeiten. Auch hier hieß es, man wolle kranken Menschen helfen, anders kommunizieren zu können. Darüber hinaus reicht die Idee, allen Nutzern das Steuern ihrer Geräte per Gedanken zu ermöglichen.

Inzwischen arbeitet Facebook vor allem daran, das Metaverse als virtuelles Paralleluniversum aufzusetzen. In dem werden wir über unsere Gedanken direkt mit der Welt kommunizieren. Man könnte sagen: Das wird die immersivste Vernetzungserfahrung, die Menschen je gemacht haben. Vielleicht macht Facebook uns aber auch zu dem Affen, den Neuralink uns beim Hirn-Pingpong vorgeführt hat.

Es braucht ethische und regulatorische Diskussionen


Eine tiefergehende Analyse dessen, was mit einer solchen Technologie irgendwann möglich sein könnte, wirft radikale Fragen auf: Wie lässt sich absichern, dass sich die Hirndaten oder gar gleich die Hirnschnittstelle nicht hacken lassen? Dass nicht Fremde plötzlich Zugriff auf das Privateste bekommen, das wir haben: unser Denken? Solche Anwendungen greifen gleich in mehrere menschliche Grundrechte ein. Dringend brauchen wir eine Diskussion darüber, wie sich das Recht auf Gedankenfreiheit und die Privatsphäre des Denkens in Zukunft absichern lassen.

Elon Musk hat seine Überlegungen zu dieser Zukunft bei der Gründung von Neuralink dargelegt. Er geht davon aus, dass die Künstliche Intelligenz in ihrem rasanten Fortschritt uns Menschen irgendwann schlagen, also schlauer als wir Menschen sein wird. Wer im Wettbewerb um das Denken der Zukunft im Spiel bleiben will, muss anders und besser denken können. Auch dazu ist das Hirnimplantat künftig gedacht: die Gehirne der Menschen zu einer Braincloud zusammenzuführen und durch KI anzureichern. René Descartes "Ich denke, also bin ich" wird dann endgültig obsolet. Irgendwas denkt dann in mir. Ob ich das bin, wird eine Frage sein, die womöglich andere beantworten müssen. Oder die niemand mehr beantworten kann.

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

Diese Kolumne erscheint sowohl beim Handelsblatt als auch bei uns. 

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