Deutsch English
  • Deutsch English
  • Tech of Tomorrow
  • Morals & Machines
  • Burn to Learn
  • Think Tanks
  • Über uns
  • 23.11.2021
  • Michael Schlegel

Wie klimaschädlich ist Streaming?

Streaming-Dienste wie Netflix verursachen CO2, verbrauchen knapper werdende Ressourcen und produzieren viel Elektroschrott – das befeuert die Klimakrise. Ist Streamen das neue Fliegen?

Manchmal fühlt sich die Klimakrise an wie ein weiteres Spiel aus der Netflix-Erfolgsserie Squid Game. Die acht Milliarden Teilnehmer:innen des Spiels blicken dem Abgrund ins Angesicht und hoffen, ihm irgendwie lebendig und möglichst unbeschadet zu entkommen, während die VIPs auf der Weltklimakonferenz interessiert aber weitestgehend tatenlos beobachten, wie sich das ganze Geschehen so entwickelt. Im Gegensatz zu den Spielen in Squid Game kann in der Klimakrise niemand allein siegen – alle gewinnen oder verlieren gemeinsam. Und auf die Gewinner:innen wartet kein Preisgeld – lediglich das Geld, dass man durch die Verhinderung von Klimaschäden einsparen würde. 

Zugegeben, der Vergleich hinkt. Etwas hat Squid Game dann aber doch noch mit der Ökologie zu tun: Videostreaming stößt Kohlenstoffdioxid aus und verbraucht Ressourcen. Beim Streaming werden Videos nicht auf den Endgeräten der Zuschauer:innen, sondern in externen Rechenzentren gespeichert. Doch wie groß ist der ökologische Fußabdruck von Streaming tatsächlich?

Vorweg die gute Nachricht: Im Vergleich zu anderen Aktivitäten ist der Anteil von Streaming am CO2-Ausstoß einzelner Konsument:innen relativ gering. Je nachdem, welcher Berechnung man vertraut, stößt eine Stunde Serie streamen so viel Kohlenstoffdioxid aus, als würde man 200 Meter bis zwei Kilometer weit Auto fahren. Zahlen dazu sind mit Unsicherheiten behaftet, denn sie fußen zum Teil auf Schätzungen, auch, weil die großen Cloudcomputing-Dienstleister nicht gerade für ihre Transparenz bekannt sind. Die Berechnungen hängen von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Erstens, von den jeweiligen Energieverbräuchen der Rechenzentren, der Übertragungsnetzwerke und der Endgeräte. Zweitens, vom Energieverbrauch für die Herstellung und den Transport der Hardware. Und drittens, von der Zusammensetzung des für die ersten beiden Punkte verwendeten Energiemix. 

Effizienzsteigerungen vs Rebound-Effekt

Die Energieeffizienz der Hardware für das Streaming hat sich innerhalb der letzten Jahre enorm verbessert. Aber die Sache hat einen Haken, wie Johanna Pohl von der Technischen Universität Berlin und zwei ihrer Kollegen 2020 in einer Studie herausfanden: „Die Digitalisierung frisst ihre Effizienzsteigerungen wieder auf“, erklärt die Forscherin im Videotelefonat. Das liegt an einem Phänomen, das schon in der Vergangenheit immer wieder Effizienzsteigerungen neuer Technologien zunichtemachte: der Rebound-Effekt. Er bezeichnet den Umstand, dass viele Technologien in der Folge von Energieeinsparungen von mehr Menschen genutzt und öfter genutzt werden oder im Schnitt größer gebaut werden. So verbrauchen sie unterm Strich trotz erhöhter Energieeffizienz immer mehr Energie. Ein einfaches Beispiel: Der Kraftstoffverbrauch einzelner Autos sank in Deutschland zwischen 1990 und 2019 im Schnitt um fünf Prozent. Doch da der PKW-Verkehr im selben Zeitraum insgesamt mehr wurde und Autos heute im Schnitt schwerer sind als früher, stieg der gesamte CO2-Ausstoß in diesem Bereich trotzdem um fünf Prozent. 

Johanna Pohl plädiert für eine ganzheitliche Perspektive auf die Nachhaltigkeit des Internets: „Macht es Sinn, einzelne Anwendungen herauszupicken und sich anzuschauen, wie CO2-intensiv sie sind? Oder müssen wir uns nicht eigentlich die Digitalisierung als Querschnittstechnologie anschauen, die in alle Bereiche der Industrie und des privaten und beruflichen Lebens reinspielt?“ Pohl erforscht die Nachhaltigkeit der Digitalisierung im Kontext der sozial-ökologischen Transformation. Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom betrug 2020 der Anteil der Digitalisierung an den weltweiten Treibhausgasemissionen 1,8 bis 3,2 Prozent. Im Vergleich dazu beträgt der Anteil des Fliegens am menschengemachten Klimawandel ungefähr 3,5 Prozent. 

Ganz unbeteiligt ist das Streaming an den Klimafolgen der Digitalisierung jedenfalls nicht. Zwischen 2011 und 2021 verzehnfachte sich die Anzahl der Netflix-Abonnements, heute liegt sie bei über 210 Millionen weltweit. Und während Deutsche 2016 noch im Schnitt jeden Tag 17 Minuten lang online Videos schauten, sind es 2021 schon 64 Minuten, also beinahe vier Mal so lang. Dazu zählen Inhalte auf kostenpflichtigen Streamingportalen wie Netflix oder Amazon Prime, auf kostenlosen Videoportalen wie Youtube, in Mediatheken von Fernsehsendern oder auch auf Pornoseiten. Laut einer Prognose des Telekommunikationsunternehmens Cisco macht Videostreaming 2021 weltweit 80 Prozent des gesamten Datenumsatzes im Netz aus. Er läge damit bei 187 Exabyte und hätte sich seit 2016 vervierfacht. 

Doch die Digitalisierung und das Streaming belasten nicht nur das Klima. Hinzu kommen weitere Umweltbelastungen, beispielsweise der Verbrauch von knapper werdenden Ressourcen oder der anfallende Elektroschrott. Keine Müllart nimmt innerhalb der EU schneller zu als der Elektroschrott. 14 Prozent davon kommt aus dem Telekommunikations- und IT-Sektor. Gleichzeitig wird nur 40 Prozent des Elektroschrotts in der EU recyclet. Allerdings sagt Pohl: „Wir haben zu wenig Daten über Umweltverbräuche der Digitalisierung.“

Wer trägt die Verantwortung?

Was jedoch bekannt ist, sind die Möglichkeiten auf verschiedenen Ebenen, die dazu beitragen können, Digitalisierung und Streaming nachhaltiger zu gestalten. Schon einzelne Konsument:innen können ihren kleinen Teil dazu beitragen und an unterschiedlichen Stellschrauben drehen. Denn tatsächlich wird beim Streaming der meiste Strom nicht durch die Rechenzentren, sondern durch die Übertragung auf die Endgeräte und durch die Endgeräte selbst verbraucht. Für Einzelne macht das Übertragungsnetzwerk, über das gestreamt wird, einen großen Unterschied. Die geringsten Emissionen verursacht das Streamen über Glasfaserkabel, danach folgen in absteigender Reihenfolge Kupferkabel, das 5G-Mobilfunknetz, das 4G-Mobilfunknetz und das 3G-Mobilfunknetz. Als grobe Faustregel lässt sich also sagen, dass Streaming über das heimische WLAN klimafreundlicher ist als über das Mobilfunknetz. 

Streaming verbraucht zudem mehr Energie, je höher die Qualität des gestreamten Videos ist. Auch die Größe des Bildschirms macht einen Unterschied: Eine Serie auf dem 32-Zoll-Smart-TV zu schauen ist klimaschädlicher als sie über das Smartphone zu streamen. Mit dem Wechsel zu einem Ökostromanbieter kann man die durch den heimischen Stromverbrauch verursachten Emissionen seines Onlineverhaltens zusätzlich stark verringern. Zudem ist es nachhaltiger, Geräte so lange zu verwenden, wie es geht und gebrauchte statt neue Geräte zu kaufen. Schließlich hat man natürlich als Einzelne:r auch die Möglichkeit, weniger häufig und lang zu streamen und stattdessen zum Beispiel öfter ein Buch in die Hand zu nehmen.

Johanna Pohl gibt dazu allerdings zu bedenken: „Es kann nicht die Verantwortung bei den Konsumentinnen und Konsumenten liegen. Das blendet Verantwortlichkeiten in der Industrie und der Politik komplett aus.“ Erst dieses Jahr verpflichteten sich eine ganze Reihe großer Cloudcomputing-Dienstleister als Reaktion auf den European Green Deal dazu, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden. Mitunterzeichner sind die größten Player in Europa, Amazon Web Service (aws) (Marktanteil von 53 Prozent), Microsoft Azure (neun Prozent) und Google Cloud (sechs Prozent). Dass in Sachen Klimaschutz erst große Taten und nicht schon große Ankündigungen die Ernsthaftigkeit der Vorhaben beweisen, dürfte inzwischen eine Binse sein. Ihr Ziel wollen die Unternehmen erreichen, indem sie ihre Rechenzentren zukünftig ausschließlich mit erneuerbaren Energien betreiben und indem sie energieeffizienter werden. Microsoft und Google haben außerdem Ambitionen zum Recycling von ausrangierten Servern formuliert. Nach eigenen Angaben recyclet Google bereits heute weltweit 86 Prozent seines Mülls aus Rechenzentren. Microsoft möchte seinen Abfall-Fußabdruck durch Müllvermeidung und Recycling bis 2030 auf null senken. 

Das Transparenzproblem der Branche

Insbesondere Marktführer aws, über dessen Server unter anderem alle Netflix-Serien strömen, geriet in der Vergangenheit immer wieder in die Kritik für seine mangelnde Transparenz in Sachen Klima- und Umweltschutz. Eine, die sich dafür einsetzt, dass Cloudcomputing-Dienstleister in der Hinsicht transparenter werden, ist Marina Köhn vom Umweltbundesamt. Sie entwickelt derzeit ein freiwilliges Register für Rechenzentren, in dem die Betreiber von Rechenzentren ihre Daten zum Energieverbrauch und zur Energieeffizienz veröffentlichen können. „Das muss aber irgendwann verpflichtend werden. Erst dann ist Politik in der Lage, Mindestenergieeffizienz zu fordern“, erklärt sie ihre Anstrengungen für mehr Transparenz in der Branche. Sie und ihre Kolleg:innen entwickelten dafür eine Methode, die es ermöglicht, den Ressourcen- und Energieverbrauch und den CO2-Ausstoß von Rechenzentren zu ermitteln und miteinander zu vergleichen. Zusätzlich sei ein Energieeffizienzlabel für Rechenzentren in Planung: „Wir arbeiten an einer Kennzeichnung der Energieeffizienz von Rechenzentren, wie es sie schon für Kühlschränke und Waschmaschinen gibt. Wir hoffen, dass wir dadurch einen Wettbewerb für mehr Energieeffizienz auslösen.“ 

Die großen Hebel aber hält die Politik in der Hand. So sind in der EU-Ökodesignrichtlinie, die die Energieeffizienz von Elektronik in der Herstellung und im Betrieb regelt, Smartphones und Tablets momentan noch nicht mit einbegriffen. Das soll sich aber angeblich mit dem nächsten Update der Richtlinie ändern. Damit könnte es zum Beispiel einfacher und günstiger werden, Smartphones und Tablets reparieren zu lassen. Zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes von Streaming könnte die Politik am besten beitragen, indem sie die Energiewende vorantreibt.

Der Anteil erneuerbarer Energien in der Europäischen Union liegt derzeit bei knapp 20 Prozent, ist also noch viel zu niedrig. Zu einer beschleunigten Transformation des Energiesektors könnte der Europäische Emissionshandel beitragen. Er sorgt dafür, dass Kraftwerksbetreiber:innen für eine ausgestoßene Tonne CO2 inzwischen 73 Euro bezahlen müssen. Innerhalb des vergangenen Jahres ist dieser Preis stark angestiegen, nachdem er lange zwischen 20 und 30 Euro dümpelte und im März 2020 sogar einen Tiefpunkt von 15 Euro erreichte. Damit der Preis seine Lenkungswirkung nachhaltig entfalten kann, müsste er jetzt noch weiter steigen oder zumindest nicht wieder sinken.

Wie die Teilnehmer:innen des Squid Game haben wir es selbst in der Hand, ob wir das risikoreiche Spiel ums Klima so weiterspielen wollen wie bisher, oder ob wir uns doch lieber dafür entscheiden, es sein zu lassen, bevor es eskaliert. Im Squid Game funktioniert diese Entscheidung per mehrheitlichem Knopfdruck. In der Klimakrise durch viele kleine und große Einzelmaßnahmen und Regeln.

Titelbild: Unsplash

Das könnte dir auch gefallen

  • New Work
  • 01.07.2022

Sechs-Punkte-Plan gegen den Fachkräftemangel

Länger arbeiten, um die Wirtschaft zu retten? Es gibt echte Lösungen, wie wir den Wohlstand retten können, statt ein kaputtes System auszupressen.

  • Smart City
  • 14.05.2021

Wohnen im Labor

Das niederländische Örtchen Helmond will das Wohnen in der Stadt revolutionieren – und plant deshalb eine Smart City von Grund auf neu.

  • Sneak Preview
  • 11.05.2021

Drei Patente der Tech-Riesen

Kaum ein Sektor entwickelt neue Produkte so rasant wie die Tech-Branche. Woran tüfteln die großen Konzerne aktuell?

© 2022 ada
Impressum
Datenschutz