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  • 30.11.2022
  • Finn Blug, Lea Beiermann

Von weißem Papier und westlicher Scheinheiligkeit

In diesem Brief aus der Zukunft geht es um das Blank Paper Movement in China // Papier und Denken // das Wanghong-Phänomen.
 

In weißen Schutzanzügen aufmarschierende Polizeibrigaden, mit Lautsprechern versehene Drohnen oder Roboter zwischen abgesperrten Wohnblöcken und riesige Quarantänelager aus weißen Containern: Die Bilder von den radikalen Maßnahmen der chinesischen Null-Covid-Politik wirken gespenstisch – und könnten direkt aus einem Sci-Fi-Weltuntergangsfilm stammen. Seit Wochen regt sich Protest gegen den strikten Umgang der Regierung mit lokalen Covid-Ausbrüchen. Das Symbol der Proteste: leere weiße Papierblätter, die für die staatliche Zensur und fehlende Meinungsfreiheit stehen.

Für besonderes Aufsehen sorgten zuletzt die Proteste vor einer Fabrik der Firma Foxconn in Zhengzhou. Der iPhone-Hersteller hat durch die strikten Quarantäneregelungen schon seit Monaten mit Produktionsausfällen zu kämpfen. In dem Werk sind 200.000 Menschen beschäftigt. Auf sage und schreibe sechs Millionen iPhones soll Apple wegen der Ausfälle verzichten müssen. Nachdem die Covidfälle bei Foxconn massiv anstiegen, fürchteten viele Arbeiter:innen auf dem Werksgelände eingesperrt zu werden. Die Grundlage dafür bietet die engmaschige technologische Pandemiebekämpfung von Chinas Regierung: Um das Gelände zu verlassen, aber auch um öffentliche Verkehrsmittel oder Plätze zu betreten, müssen Chines:innen per QR-Code ausweisen, dass sie negativ getestet sind. Andernfalls droht ihnen, eingeschlossen zu werden oder das Quarantänelager.

Stattdessen entschieden sich viele Arbeiter:innen bei Foxconn zu fliehen: Sie kletterten über die Zäune und liefen teilweise zu Fuß zurück in ihre Heimatdörfer. Der iPhone-Hersteller musste in kürzester Zeit neue Arbeitskräfte anlocken, doch zahlte versprochene Bonuszahlungen nicht aus, woraufhin Hunderte von Arbeiter:innen vor der Foxconn-Fabrik protestierten. Ihr Unmut mischte sich mit dem allgemeinen Frust über die harten Null-Covid-Maßnahmen und musste schließlich von der Polizei brutal niedergeschlagen werden. Ebenso wie die anhaltenden Proteste im Rest des Landes.

In diesem Fall kulminieren mehrere politische, ökonomische und technologische Dimensionen unserer globalisierten Gegenwart: Auf der einen Seite der chinesische Staat, der seine Anti-Covid-Politik mithilfe von modernster Technologie rigoros durchsetzt. Auf der anderen Seite die Protestierenden, die ihren Unmut an der staatlichen Zensur vorbei auf kreative Weise über digitale Kanäle kundtun: zum Beispiel durch einschlägige Twitter-Accounts oder politische Kunst in Form von NFTs, die sich aufgrund ihrer dezentralen Natur der Regulierung entziehen.

Doch auch der Westen spielt eine zentrale Rolle in dieser Gemengelage – nicht zuletzt über die Geräte in unseren Hosentaschen. Während die kürzlich verhängten britischen und US-amerikanischen Verbote originär chinesischer Technologien aus Angst vor Spionage einen harten Kurs suggerieren sollen, produzieren westliche Firmen vor Ort munter weiter – auch unter fragwürdigen Bedingungen.

von Finn Blug



Personal Growth

Paper Technologies: Wie uns Papier beim Denken hilft


Auf den DIN A4-Blättern der Protestierenden in China steht: nichts. Doch die weißen Seiten schaffen auf ein paar Quadratzentimetern Raum für all das, was durch die strenge Zensur ungesagt bleibt. Die nur scheinbar leeren Protestschilder sind damit auch ein Beispiel für die vielen Funktionen von Papier, die wir häufig übersehen, wenn wir es nur als Schreibuntergrund wahrnehmen.

In der Technikgeschichte beschäftigt man sich schon länger mit „paper technologies“ oder Papiertechniken, kurz gesagt mit der Idee, dass Papier kein passiver Untergrund ist, sondern dass es häufig unsere Gedanken organisiert. Zum Beispiel schreiben (und denken) wir auf einem großen leeren Bogen Papier anders, als wenn wir eine eng linierte Karteikarte beschriften. 

Nun könnte man sagen, dass wir heute kaum noch mit Papier interagieren, weil die meiste Kommunikation mit anderen und uns selbst digital stattfindet. Laut einer Studie der Universität Tokio sollten wir diese Praxis überdenken: Beim digitalen Schreiben machen wir automatisierte Bewegungen, die weniger Spuren in unserem Gedächtnis hinterlassen, als wenn wir in Notizbücher kritzeln – und am nächsten Tag unsere eigenen Gedanken entziffern müssen. 

In welchen Situationen benutzt du noch Papier? Könntest du Papier in kreativen Denk- und Lernprozessen vielleicht wieder bewusster einsetzen?

von Lea Beiermann



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