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  • 29.10.2021
  • Miriam Meckel

Totalitäre Technologie als Exportschlager

China hat hervorragende Gesichtserkennungstechnologien und versorgt damit fleißig den Rest der Welt. Politische Standards werden gleich mitgeliefert.

Im Schatten existenzieller Ängste können kleine Bedrohungen ungesehen groß werden. Das gilt auch für die irrationale Angst, Künstliche Intelligenz könne schlauer werden als wir selbst und den Menschen künftig als Haustier halten. “Diejenigen, die vor einer künstlichen allgemeinen Intelligenz Angst haben, achten nicht auf die Dinge, die gerade wirklich passieren", sagte der Tech-Investor Peter Thiel vor wenigen Tagen auf einer Konferenz in Miami. Was gerade wirklich passiert? Eine umfassende technologische Erfassung der Menschheit über Gesichtserkennungstechnologien. Thiel bezeichnet sie als "kommunistische totalitäre Technologien".

Peter Thiel ist ein problematischer Zeuge der Anklage an die Menschheit, in den falschen Ecken unserer KI-Zukunft nach Gefahren zu suchen. Denn Thiel ist an Palantir und Clearview AI beteiligt – zwei Technologiefirmen, die auch mit Gesichtsanalysesystemen arbeiten oder sie entwickeln. Er ist auch bei Weitem nicht der erste Technologie-Insider, der diese Warnung ausspricht. Und doch hat er recht.

Clearview AI, das sich selbst als weltgrößtes Netzwerk für Gesichtserkennung preist, durchsucht das Internet nach dem menschlichen Antlitz und hat so eine Datenbank mit drei Milliarden Gesichtern aufgebaut. Lädt man ein Foto in die Clearview-App, dann liefert sie alle Bilder, die der Algorithmus zu dieser Person im Internet finden kann plus der dazugehörigen Internetadressen. Die App funktioniert nicht nur mit den typischen erkennungsdienstlichen Fotos, sondern auch mit privaten Schnappschüssen aus den sozialen Medien. In den USA arbeitet inzwischen eine ganze Reihe von Strafverfolgungsbehörden mit der Technologie von Clearview AI. In Kanada ist die App dagegen verboten.

Zwei andere wichtige Start-up-Unternehmen sitzen in China: Megvii Technology und SenseTime – beide ebenfalls auf Gesichtserkennung spezialisiert und von Peking kräftig finanziell gefördert. Sie gehören zu einem landesweiten Netzwerk an Technologiefirmen, die mithilfe von KI-gestützter Bilderkennung ein perfektes und lückenfreies Überwachungssystem aufbauen. SenseTime arbeitet eng mit der chinesischen Polizei zusammen und war lange beteiligt an einer Firma, die in Xinjiang die technologische Überwachung der uigurischen Minderheit umsetzt.

Ein kapitalistisches, ein autoritäres Land – und eine Technologie, die jeden Menschen, unabhängig von Ort, Zeitpunkt und politischen Rahmenbedingungen, über die einmaligen Kennzeichen des Gesichts finden und verfolgen kann. Das klingt nicht nur dystopisch. Diese Entwicklung hat das Potenzial, unsere Welt für immer zu verändern.

Es ist vor diesem Hintergrund auch nicht verwunderlich, dass sich internationale Expert:innen seit einiger Zeit einen Schlagabtausch liefern über die Frage, wer bei KI das Rennen macht: die USA oder China? Dabei ist die Beantwortung dieser Frage für unsere Zukunft unerheblich. Die braucht nämlich keine komplizierte Technologie, um anders zu werden, als man sich das für eine freie und demokratische Welt wünscht. Dafür reichen schon die heutigen Standards der Gesichtserkennung. Denn die werden von China und seinen Tech-Unternehmen fleißig in alle Welt exportiert. Dort werden sie vielleicht nicht eingesetzt, um die Bevölkerung konsequent zu überwachen und drakonisch zu bestrafen. Sie dienen dem Zugang zum Arbeitsplatz, der berührungsfreien Bezahlung, der Sicherheitskontrolle am Flughafen – alles sehr bequem und gerade in Zeiten von Covid gut für die Gesundheitsfürsorge. Aber wo bleibt die Demokratiefürsorge?

Bequemlichkeit schlägt Privatsphäre, so lautet ein bekanntes Tauschmuster der digitalen Welt. Danach wird Gesichtserkennung überall Einzug halten. China exportiert nur technologische Anwendungen, die systemische Einbettung folgt nach. Folge der Technologie, und du verstehst, in welchem Land du leben wirst.

Neulich bin ich am Flughafen JFK in New York in ein Flugzeug gestiegen. Ich brauchte keinen Pass und keine Bordkarte mehr, das Boarding lief über Gesichtserkennung. Praktisch und schnell war das. Übrigens kein Flieger von Air China oder United Airlines. Es war Lufthansa.

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

Diese Kolumne erscheint sowohl beim Handelsblatt als auch bei uns. 

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