Die Tonie-Hörspielboxen sind so konzipiert, dass Kinder sie sehr leicht bedienen können. Ein Gespräch mit den Machern der Toniebox über die Ära des Zuhörens, Diversität in Kinderhörspielen und die unterschiedlichen Hörgewohnheiten anderer Länder.
Die Düsseldorfer Väter Patric Faßbender und Marcus Stahl wurden mit ihren Hörspielboxen für Kinder so erfolgreich, dass sie nach nur fünf Jahren am Markt mit Milliardenbewertung an die Börse gehen wollen. Anders als CD-Spieler sind die Hörspielwürfel mit magnetisch haftenden Tonie-Figuren wie Räuber Hotzenplotz für Kinder besonders leicht zu bedienen. Mit ada haben der Toniebox-Gründer Marcus Stahl und sein Chief Product Officer Markus Langer über die Kraft des (Zu-)Hörens gesprochen, was den aktuellen Audio-Boom auslöst und wann es Kindergeschichten mit Regenbogenfamilien geben wird.
Podcasts, Sprachassistenten, der Erfolg Eurer Tonieboxen – woher rührt der aktuelle Audio-Boom?
Markus Langer: Der Erfolg der Tonies liegt sicherlich darin begründet, dass wir die Flüchtigkeit und Komplexität der digitalen Welt für Kinder „begreifbar“ gemacht haben. Dabei ist zumindest im Bereich der Kinderhörspiele dieser Boom nicht neu. Die drei ???, Benjamin Blümchen oder Bibi Blocksberg gibt es seit vielen Jahrzehnten, sie haben die Generation der „Kassetten-Kinder“ geprägt. Neu ist, dass das Megathema Audio nun auch die Welt der Erwachsenen erreicht hat.
Was hat diese Ära des Zuhörens eingeläutet?
Langer: Ich glaube, es hat diese Ära immer gegeben. Das Zuhören ist eine anthropologische Konstante und begann mit unseren Vorfahren, die sich in ihren Höhlen am Lagerfeuer Geschichten erzählten. Das war ihr Internet, ihr TV, ihre Tageszeitung. Das Hören ist nach dem Tasten der erste voll entwickelte Sinn. Schon als Babys erkennen wir rhythmische Strukturen, Klangfarben, Stimmen. Mit dem Hören entstehen erste Bindungen, es schafft Gemeinschaft. In unserer enorm visuell geprägten Kultur und Arbeitswelt mag das in den Hintergrund geraten sein. Dabei sind rein auditive Genüsse nach so viel Zeit vor Bildschirmen enorm entlastend und beglückend.
Marcus Stahl: Die Digitalisierung mit ihren Streaming-Technologien hat diesen weltweiten Trend natürlich befeuert. Es gibt heute Audio-Content für nahezu jeden Bereich. Ich liebe den Podcast „Was mit Kunst“ von Johann König. Dazu kommt der Faktor Zeit: Man kann Audioinhalte unterwegs und sehr flexibel über das Smartphone hören.
Worin liegt die besondere Kraft des Zuhörens?
Langer: Es gehört zum Wesen auditiver Kultur, Räume für Imagination zu eröffnen und belassen. Sie okkupiert nicht alle Sinne, Zuhörer können eigene Bilder kreieren. Meine kleine Tochter und ihre Freunde rücken die Toniebox manchmal ins Zentrum und integrieren die Inhalte einfach in ihr Spiel. Manchmal sitzt mein Kind auch ganz konzentriert da und malt dabei. Im Vergleich dazu reduzieren Videos Kreativität, zu viel Zeit am Bildschirm wirkt sich besonders bei kleineren Kindern negativ auf die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten aus, das ist mittlerweile auch wissenschaftlich belegt.
Stahl: Ich glaube, dass die Kraft zudem im Klang der Stimme liegen muss. Nicht umsonst haben die Sprecher der drei ??? ganze Stadien gefüllt.
Wie ist das bei Euch, habt Ihr neue Arten des Zuhörens entdeckt?
Stahl: Ich höre strukturierter, reduzierter und letztlich bewusster. Außer Podcasts über klassische Musik oder Kunst höre ich seit acht Jahren überwiegend Vinyl-Platten. Ich nehme mir in Ruhe das Cover, lese die Texte darauf, höre eine Platte bis zum Ende. Bei den Tonieboxen haben wir uns ganz bewusst gegen ein Display entschieden. Wir wollen nicht überfrachten und den Fokus auf die Haptik und das Zuhören legen.
Langer: Was Hörbücher betrifft, bin ich durch meine Profession ein bisschen verdorben. Ich achte meist weniger auf den Inhalt, dafür mehr auf erzählerische Bögen, auf den Einsatz der Stimme, die Art der Präsentation. Wer wie in einem populären Nachrichtenpodcast in immer gleichen Modulationskurven erzählt, hat mich meist nach drei Minuten verloren.
Wie wichtig ist Euch der Klang der Tonie-Hörspiele, die Stimmsympathie – oder überlasst Ihr die Produktion Verlagen?
Langer: Wir produzieren inzwischen viel eigenen Content auf Basis vorhandener Stoffe und entwickeln gemeinsam mit Autor:innen auch eigene Geschichten. Denn gerade in anderen Ländern gibt es wesentlich weniger Audioangebote. Wir produzieren Kinderlieder sehr liebevoll neu, auch für den deutschen Markt. Da fließt meine langjährige Erfahrung als Produzent, Verlagsleiter, Regisseur ein und wir profitieren von unserem großen internationalen Netzwerk an Komponist:innen, Sprecher:innen und Künstler:innen.
Algorithmen können heute erkennen, welche Stimmarten Wohlwollen oder Abneigung erzeugen. Spielt künstliche Intelligenz bei der Auswahl der Tonie-Erzähler:innen eine Rolle?
Langer: Nein, da verlassen wir uns ganz auf unsere langjährige Expertise. Wir beobachten solche Technologien allerdings mit Interesse. Allerdings wollen wir Stromlinienförmigkeit vermeiden. Ich glaube nicht an die eine Wahrheit, die eine Analyse von Stimmdaten womöglich brächte. Wir wollen ja auch immer wieder überraschen, neue Dinge ausprobieren und Trends setzen. Das ließe sich aus einer solchen Arithmetik nicht ableiten. Mit dieser Haltung sind wir bislang ganz gut gefahren.
Das kann man wohl sagen. Nachdem vor fünf Jahren die ersten Tonieboxen auf den Markt kamen, wollt ihr nun an die Börse. In Frankreich startet der Verkauf in Kürze, in den USA seid ihre bereits seit Ende 2020 am Markt. Unterscheiden sich dort die Hörgewohnheiten?
Stahl: Auf jeden Fall. Für jedes Land analysieren wir genau, welche Audio-Formate passen könnten. Einfach Inhalte vom Deutschen ins Französische zu übersetzen, funktioniert nicht. Bis auf Heidi und den kleinen Prinzen vielleicht, den wir in Deutschland schon im Programm haben. Es braucht für Frankreich französische Held:innen wie Asterix. In den USA ist die Nachfrage nach Blockbustern wie PAW Patrol oder den Disney-Figuren hoch. Obwohl es etwas nischig ist, habe ich es mir als Klassikfan nicht nehmen lassen, Stücke wie den Nussknacker oder die Zauberflöte für Kinder mit ins Programm zu nehmen. Das ist zwar nicht Mickey Maus, aber uns ist Vielfalt wichtig.
Werden bei den Tonies dann auch diversere Familienmodelle vorkommen? Bislang fehlen in Kindergeschichten Regenbogen- oder Patchworkfamilien, so als gäbe es sie in der Realität nicht.
Langer: Diese Diversität abzubilden, steht ganz oben auf unserer Agenda. Wir haben damit begonnen, dass unsere Kreativ-Tonies, das sind Figuren, die Kund:innen selbst bespielen können, unterschiedliche Hautfarben haben. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. In den meisten Kinderbüchern wird Diversität explizit zum Thema gemacht. Wir würden uns aber vor allem Geschichten wünschen, in denen Vielfalt als etwas Normales und Selbstverständliches dargestellt wird. Vermutlich braucht die Publishing-Welt dafür noch etwas Zeit, aber wir haben schon auch den Anspruch, solche Inhalte selbst zu konzipieren, um sie auf die Tonies Plattform zu bringen.
Es könnte bei den Tonies also bald Geschichten mit gleichgeschlechtlichen Eltern geben?
Langer: Durchaus.
Auch älteren Menschen sollen Tonies in Krankhäusern während des Lockdowns Trost gespendet haben. Ist das eine neue Zielgruppe?
Stahl: Wir haben mitunter herzzerreißende Geschichten gehört. Über die Tonie-App kann die Oma im Pflegeheim Botschaften an die Enkel senden, die diese dann via Kreativ-Tonie anhören – und umgekehrt. Das haben Familien in der Pandemie vielfach genutzt. Wir schauen uns derzeit tatsächlich in unserem Tonielab an, wie wir Tonies in solchen Umgebungen gezielt einsetzen können. Gerade auch Dementen können auditive Reize helfen. Während alles langsam verblasst, erinnern sich die meisten noch gut an Lieblingslieder, die die Tonies abspielen könnten. Würde man die Tonies künftig etwa mit Hilfe von 3D-Druck geliebten Menschen nachempfinden, hätte das einen starken emotionalen und aktivierenden Effekt.
Wie wichtig ist so eine Art der Personalisierung für den Erfolg der Tonies – und was können andere Unternehmen über das Hinhören und das Erkennen von Trends lernen?
Stahl: Personalisierung, etwa in Form der Kreativ-Tonies, ist sehr wichtig. Sie kann Familien, Gemeinschaften oder Kundenkreise einbeziehen. Essentiell ist aber auch, dass wir nie aus einer Ingenieurslogik heraus gewerkelt haben, sondern ausschließlich aus der Sicht des Kindes. CDs sind eben nicht kinderfreundlich. Als Väter waren wir die zerkratzten Dinger leid. Auch fehlte ein geeignetes Abspielgerät für Kinder. Gerade Kleinkinder scheitern an kleinen Knöpfen. Wir haben die Toniebox also nicht entwickelt, weil wir einen bestimmten Trend gesehen haben. Wir wollten ein Problem lösen und Kindern Autarkie zurückgeben. Das wäre auch meine Empfehlung: nicht von der Technologie oder dem Business her zu denken, sondern von den Problemen der Kund:innen oder Mitarbeiter:innen.
Langer: Dazu leben wir in einer Zeit, wo wir alles, was wir wollen, per Mausklick bekommen. Alles schwebt volatil im digitalen Raum. Das Besondere an den Tonies ist, dass wir eine smarte Technologie vereinfacht und greifbar gemacht haben. Ein Gegenmodell zu unserer flüchtigen, wenig fassbaren und schnelllebigen Welt. Die Tonies sind etwas zum Hören und zum Anfassen. Sie bleiben. Sie sind das Vinyl der Kinder.