Deutsch English
  • Deutsch English
  • Tech of Tomorrow
  • Morals & Machines
  • Burn to Learn
  • Think Tanks
  • Über uns
  • 08.03.2023
  • Finn Blug, Lea Beiermann

TikToks algorithmische Sportgymnastik

In diesem Brief aus der Zukunft geht es um TikTokisierung digitaler Plattformen // TikTok-Filter // Shift Happens #7.

Als die Instagram-Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger Anfang des Jahres ihr neues Social- Media-Projekt ankündigten, offenbarte das Konzept keine große Überraschung. Artifact heißt die textbasierte News-App, die angesichts des langsamen, aber stetigen Niedergangs von Twitter in Bezug auf Newsmedien in ein Vakuum stoßen soll, das Anwendungen wie Mastodon oder Hive Social bisher nicht füllen konnten. Etwas bemerkenswerter am Launch der App ist jedoch die Analogie, mit der das neue Projekt der Instagram-Pioniere seither besprochen wurde: Vom neuen „TikTok für Text“ ist in sämtlichen Medien die Rede gewesen.

Aber was bedeutet das, mal abgesehen von der Tatsache, dass TikTok wohl noch immer das heißeste soziale Medium unter jungen Menschen ist? Nun, in erster Linie bezieht sich der Vergleich auf die Art und Weise, wie TikTok Content kuratiert. Der TikTok-Algorithmus, der den User:innen höchst individualisiert einen kontinuierlichen Strom an Videos auf den Bildschirm ihres Handys spült, gilt als die „Secret Sauce“, das Geheimrezept für den überwältigenden Erfolg der App. Wer Inhalte auf TikTok rezipiert, wird förmlich eingesogen in einen Bewusstseinsstrom aus Videos: mal informativ, mal emotionalisierend, mal inspirierend. Dieser KI-unterstützte Modus ist es, dem viele Unternehmen mit ihren Anwendungen derzeit nachzueifern versuchen:  eine fortlaufende Aneinanderreihung von personalisiertem, aber zugleich herausforderndem und auch irritierendem Content.

Eine solche „TikTokisierung“ konnte man schon länger bei Youtube und Instagram mit ihren vehement forcierten vertikalen Kurzvideos Shorts und Reels beobachten. Aktuell steht auch Spotify dem Vernehmen nach in den Startlöchern mit einem TikTok-ähnlichen Entdeckungsmodus, der den Nutzer:innen einen endlosen Strom neuer Songs in winzigen Snippets präsentiert. Es ist bei weitem nichts Neues, dass die großen Plattformen fröhlich die erfolgreichen Features ihrer Konkurrenten kopieren, um ja nicht ins Hintertreffen zu geraten. Da bildet im Übrigen auch TikTok selbst keine Ausnahme: Im Herbst stellte man den BeReal-Klon TikTok Now vor. Doch mit welcher Selbstverständlichkeit digitale Anwendungen immer mehr zu einem Einheitsbrei aufgeblasener Super-Apps konvergieren, hat mit Innovationen, wie man sie eigentlich von den hippen Tech-Giganten erwartet, wenig zu tun.

Doch damit nicht genug. Denn TikToks algorithmische Sportgymnastik ist nicht nur das eine tolle Hochglanzfeature der Stunde. Es hat auch höchst verstörende Nebenwirkungen: Einer Studie des US-amerikanischen Center for Countering Digital Hate (CCDH) zufolge pusht der Algorithmus die Verbreitung schädlicher Inhalte, die Essstörungen oder gar Selbstverletzungen fördern. Dazu kann man sich dem Strom aus Inhalten nur schwer entziehen. Der Rezeptionsmodus begünstigt Suchtverhalten. Auch wenn TikTok mit Hinweisen und Bildschirmzeitbegrenzungen versucht gegenzusteuern, klingt das nicht wie die erstrebenswerte Zukunft der Contentkuration.

von Finn Blug



Personal Growth

Facelift-Filter: Dem jüngeren Ich begegnen


Auf TikTok machen neue Gesichtsfilter die Runde, die ihre User:innen nicht nur nach allen Regeln der schönheitschirurgischen Kunst aufhübschen, sondern auch zu Tränen rühren. TikToks „Teenage Filter“ zum Beispiel transportiert das Gesicht schon im Moment des Filmens zurück ins Teenageralter und macht es so möglich, sich per Video mit dem eigenen jüngeren Ich zu unterhalten. Neu sind solche Anti-Aging-Filter natürlich nicht, neu ist aber die Perfektion, die TikToks Filter erreichen: auch bei schneller Bewegung kein Verwackeln, kein Ausfransen an den Rändern.

2019 berichtete der New Yorker schon über das „Instagram-Gesicht“: Instagram-Gesichtsfilter erzeugten eine immer gleiche Kombination von Merkmalen, die sich vor allem Frauen zunehmend auch außerhalb der Plattform von Chirurg:innen ins Gesicht spritzen ließen. Wenige Monate später zeigte eine interne Studie von Facebook, dass seine Fotoplattform Instagram dem Selbstbild von Teenager:innen schadet. Weitere Forschung hat diesen Effekt seitdem bestätigt und außerdem gezeigt, dass auch der Hinweis darauf, dass ein Filter verwendet wurde, Teenager:innen nicht davon abhält, sich mit gefilterten Fotos anderer zu vergleichen.

Vielleicht folgt auf das Instagram- nun also das TikTok-Gesicht, das uns ständig mit all unseren falschen Lebensentscheidungen und verpassten Chancen konfrontiert. Auch mit Schönheitsfilter eher keine schöne Aussicht. Doch möglicherweise ein Grund mehr, so zu leben, dass man seinem jüngeren Ich gelassen begegnet, ganz ungefiltert.

Möchtest du deinem Teenager-Ich noch einmal begegnen? Was würdest du deiner jüngeren Version erzählen?

von Lea Beiermann



Dive Deeper

Folge #7: Edward Hoppers New York | Sabbat | South by Southwest


Miriam und Léa reisen durch amerikanische Großstädte, durch Raum und Zeit. Die beiden sprechen darüber, wie Edward Hoppers New York uns dazu anhält, die Perspektive zu wechseln, und wie der jüdische Ruhetag einen Raum in der Zeit schafft. Die beiden nehmen uns außerdem mit nach Austin, Texas, wo die South by Southwest in diesem Jahr zu psychedelischen Reisen einlädt. Am Ende überrascht Miriam Léa mit einem mobilen Ort, an dem es sich gut bleiben lässt.

Jetzt hören

„Die größte kohlebetriebene Maschine der Welt“
 

Hannah Smith arbeitet an der Schnittstelle zwischen Technologie und Klimalösungen. Im Interview erklärt sie, worauf es bei nachhaltiger Digitalisierung ankommt und wie digitale Technologien uns auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen können.

von Lea Beiermann & Nadya Phillips-Houben

Jetzt lesen


Und zuletzt:

Der Stretch Mirror folgt einem etwas anderen Schönheitsideal und bietet einen Filter, mit dem du dein Gesicht in alle Richtungen ziehen kannst.



Dies ist das Archiv unseres wöchentlichen Newsletters, dem Brief aus der Zukunft. Gelange hier zur Sammlung, um mehr zu entdecken.

Das könnte dir auch gefallen

  • KI
  • 11.05.2021

Ein Typ wie du und ich. Oder?

Intelligente Maschinen erleichtern unseren Alltag - und wirken zunehmend menschlich. Was macht das mit uns?

  • China
  • 06.09.2021

Gaming in China: Das Spiel ist aus

Game Over für Chinas Jugend? Ab jetzt bestimmt die Regierung, wann Kinder in virtuelle Welten abtauchen dürfen.

  • 11.10.2021

In eigener Sache: ada erhält Ernst-Schneider-Preis

Unser Dank geht an die Jury und alle unsere Leser:innen, ihre Unterstützung, Treue und hilfreiches Feedback.

© 2023 ada
Impressum
Datenschutz