Die KI-Modelle, die gerade die Welt bewegen, brauchen Unmengen von Daten. Will Deutschland da mitmischen, braucht es einen neuen Umgang mit einem Reizthema.
Es lässt sich viel über die deutsche Seele lernen, wenn man durch die große Sammlung von deutschen Sprichwörtern zum Thema „Sparen“ stöbert. Da stößt man auf bemerkenswerte Lebensweisheiten: „Wer Sparsamkeit, die Mutter, begehrt, dem wird Reichtum, die Tochter, beschert.“ Das ist aus vielerlei Gründen eine grauenhafte Einsicht in die deutsche Seele, diese Mischung aus Spießigkeit und Schmierigkeit, über die man lieber nicht länger nachdenken möchte. Eines allerdings könnte uns dieses Sprichwort endlich helfen zu begreifen: Wir brauchen einen Generationen- und Einstellungswechsel bei der Sparsamkeit.
Bundesfinanzminister Christian Lindner kennt das Problem. Er hat wieder die Welle der deutschen „Sparspießigkeit“ zu spüren bekommen, als er die Aktienrendite als Beitrag zum „Generationenkapital“ vorstellte. Die Menschen brauchen für ihre Altersvorsorge doch Sicherheit, so der Aufschrei der sparsam Vorausschauenden. Sie wollen nicht begreifen, dass Aktienrenditen langfristig unbedingt in jedes Portfolio gehören – auch in ein staatliches Stiftungsvermögen, das am Kapitalmarkt unsere Rentenzukunft absichern soll.
Aber die Deutschen sparen halt so gern an allem. Am liebsten lassen sie ihr Geld ungenutzt auf dem Girokonto herumliegen (2022: 42 Prozent) oder horten es auf dem Sparbuch (35 Prozent). Weniger als ein Fünftel der Deutschen betreibt Vermögensbildung über Aktien, in den USA sind es rund 60 Prozent.
Nun wird der deutsche Spargeist leider nicht nur im Umgang mit Geld zum Problem. Auch an ganz anderer Stelle verbauen wir uns gerade die Zukunft – zumindest wenn wir sie in Deutschland mitgestalten und nicht nur passiv nutzen wollen, was andere für uns erschaffen.
Das Bundesdatenschutzgesetz, aber auch die Datenschutz-Grundverordnung der EU definieren das Recht auf Privatsphäre darüber, „so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen“ (BDSG Paragraf 3a). Dieser Grundsatz der „Datensparsamkeit“ geht auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 zurück, in dem das Gericht die „informationelle Selbstbestimmung“ eingeführt hat: Über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten entscheidet das Individuum.
Vierzig Jahre später schauen wir mit großen Augen zu, wie sich die Zukunft vor unseren Augen in einem Feld ausrollt, das wir betreten, aber nicht bespielen: die großen Sprachmodelle, die Anwendungen wie ChatGPT und Dall-e hervorbringen. Es gibt sie überhaupt nur, weil Datenreichtum in anderen Teilen dieser Welt möglich ist. Diese Modelle, auch „Foundational Models“, „Grundlagenmodelle“ genannt, haben Ende 2022 die nächste Entwicklungsstufe des Internets gezündet. Diese Grundlagen bauen derzeit die USA und China. Deutschland leider nicht.
Es wird daher Zeit, ein paar Missverständnisse anzusprechen, die uns viel Geld auf unseren deutschen Sparbüchern kosten werden. Die KI-Modelle, die gerade die Welt bewegen, verbessern sich durch selbstlernende Prozesse. Dazu brauchen sie Unmengen von Daten, deren Verwendung eben nicht akkurat im Vorfeld festgelegt und dokumentiert werden kann, wie bei uns vorgeschrieben. Um das möglich zu machen, brauchen wir nicht die Privatsphäre preiszugeben.
Angela Merkel: Daten sind der Rohstoff der Zukunft
Daten lassen sich so anonymisieren, dass sie für den Fortschritt verwendet werden können, ohne dass man sie individuell zuordnen kann. Das wissen auch viele Industrien sehr gut. Weil sie in Deutschland nicht weiterkommen, betreiben beispielsweise zahlreiche Pharmaunternehmen immer größere Teile ihrer Forschung in den USA. Auch lässt sich jetzt schon absehen, welche Vorteile Microsoft und OpenAI daraus ziehen werden, das ChatGPT-Modell in die Suchmaschine Bing und das Office-Paket zu integrieren. Millionen Nutzerinnen und Nutzer weltweit werden dabei helfen, das Modell und seine Anwendungen immer besser zu machen.
Es war übrigens die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Rede zum Tag der Deutschen Industrie 2016 sagte: „Wir müssen auch eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, dass Daten der Rohstoff der Zukunft sind und dass das uns einst vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Prinzip der Datensparsamkeit nicht mehr zur heutigen Wertschöpfung passt.“ Inzwischen sind wieder sieben Jahre vergangen, aber wir lösen das Sachproblem der individuellen Datensicherheit weiterhin durch Grundsatz- und Mengenbeschränkung.
In einer Welt, die absehbar in allen Lebensbereichen durch datenintensive, selbstlernende KI gestaltet wird, stehen wir da wie die Datendeppen von gestern. Datensparsamkeit wird zur Zukunftssparsamkeit. Vielleicht gibt es ja ein paar Töchter und Söhne, die ihren Müttern und Vätern mal die Rahmenbedingungen zeitgemäßer globaler Begehrlichkeiten erklären können?