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  • 30.11.2021
  • Finn Blug

„Netflix sucht immer noch das Flair des Kinos“

Im Interview erklärt der Filmproduzent Maximilian Leo, warum es den Streamingdiensten nicht nur auf die nackten Abrufzahlen ankommt und was das für seine Arbeit bedeutet.

Streamingplattformen haben in den vergangenen Jahren nicht nur die Art und Weise, wie wir Filme und Serien schauen, sondern auch die Filmbranche nachhaltig verändert. Dabei machen die Streamingdienste eigentlich genau das, was die traditionellen Filmstudios gemacht haben – und orientieren sich dabei immer noch am Glanz des Kinos, sagt Maximilian Leo. Er ist Mitgründer der augenschein Filmproduktion aus Köln und produziert vor allem Filme für die Kinoleinwand. Im Interview erklärt er, wie Streamingdienste seine Arbeit verändert haben, welche Vorteile sich daraus ergeben und wieso er sich ein größeres Miteinander zwischen Festivals, Kinos, TV-Sendern und Streamern wünschen würde.

Herr Leo, mit ihrer Produktionsfirma produzieren Sie Filme für einen internationalen Markt. Wo sind diese Filme zu sehen?

In erster Linie produzieren wir Kinofilme. Filme, die für sich allein stehen, auf einem individuellen Drehbuch basieren und keine Auftragsproduktionen sind. Wir produzieren Werke und versuchen für diese dann den besten Platz zu finden. Es fängt immer mit dem Kino an. Darüber hinaus gibt es dann eine weitere Verwertung im Fernsehen oder bei Streamern – vereinzelt sogar noch Bluray oder DVD.

Wie haben Streamingplattformen diese Arbeit verändert?

Als wir vor etwa zehn Jahren angefangen haben, gab es keine Streamer. Damals herrschte eine sehr negative Stimmung zwischen Produzenten und Filmemachern, weil der DVD-Markt weltweit immer weiter einbrach, besonders in Deutschland. Es gab immer weniger Geld. Wir haben damals gescherzt: „Wir sind eine postapokalyptische Produktionsfirma“, weil wir die guten Zeiten praktisch gar nicht kannten. Was sich dann vor fünf, sechs Jahren mit dem Aufkommen der Streamer signifikant verändert hat, ist, dass in der Auswertungskette auf einmal ein Fenster aufging und plötzlich mehr Geld in den Markt kam. Man spürte, dass immer mehr produziert wurde – es wurde schwieriger, gute Leute zu bekommen. Die generelle Stimmung hat sich verändert. Und das führt auch dazu, dass höhere Budgets zur Verfügung stehen – das ist natürlich erfreulich. Die direkte Projektentwicklung hat es aber nicht verändert, weil wir immer noch in erster Linie einen weltweiten Kinostart anstreben. Das ist immer die Prämisse.

Verändert hat sich also vor allem die Distribution, wenn die eigentliche Produktion des Films bereits abgeschlossen ist?

Ja. Was uns betrifft, ist die Veränderung durch Streaming in erster Linie eine Veränderung im Vertrieb und zwar über die deutschen Rechte hinaus. In Deutschland werden Filme von uns immer im Kino erscheinen, meistens im Free-TV, weil wir ein Land sind mit starken TV-Sendern, die immer noch die größten Anteile in die Finanzierung mit einbringen. Aber weltweit ist ein neuer Baustein entstanden. Und der wird in meinen Augen sogar noch landesüblich unterschätzt – also flankierend zu einem deutschen Kinostart und einer weiteren Verwertung im Fernsehen einen weltweiten Start auf Amazon, Netflix oder Disney zu haben. Ein solches Prestigefenster ist in meinen Augen das Zweitbeste, was nach einem Kinostart in den USA passieren kann.

Wie kann man diese unterschiedlichen „Bausteine“ im Vertrieb denn miteinander abstimmen?

Wir haben es bei unserem Film STOWAWAY erlebt: Wir hatten eine unfassbar breite amerikanische Presse zum Release auf Netflix-US. Das war für den deutschen Kinostart zeitlich aber leider nicht perfekt abzustimmen. Für solche Fälle muss man in Zukunft neue Modelle finden. Treten unsere Stars dann beispielsweise in der Tonight Show auf, gibt es überregionale und weltweite Presse zu diesen Filmen. Wenn der deutsche Kinostart flankierend dazu stattfinden würde, wäre das ideal. Denn wo man ein großes Publikum erreicht, hat man eben auch Impact.


STOWAWAY ist bereits seit April bei Netflix-US zu sehen, hatte in Deutschland aber zunächst einen Kinostart.
Seit Dezember läuft der starbesetzte Film auf Amazon Prime Deutschland.

Inwiefern hat Streaming die Rezeption Ihrer Filme verändert?

Beim kommerziell erfolgreichen Film gibt es das Phänomen der nationalen Komödie. Große, deutsche Komödien mit großen, deutschen Comedy-Stars funktionieren richtig gut an der Kinokasse. Das ist so nicht nur in Deutschland, das funktioniert auch in Italien mit italienischen Darstellern oder in Frankreich mit französischen. Meistens sind das aber Filme, die zwar stark in dem jeweiligen Land sind, aber eben nicht darüber hinaus. Wie in der Musik wird die Nische gleich viel größer, sobald man englischsprachig produziert. Wenn wir einen künstlerischen Genrefilm oder ein Drama machen und dann aber eine Hollywood-Besetzung haben, finden wir weltweit in dieser Nische statt. Und nicht wie im deutschsprachigen Film, wo wir wissen, dieser Film würde wahrscheinlich maximal 50.000 bis 100.000 Zuschauer erreichen. Natürlich wollen wir Filme machen, die von einem Publikum gesehen werden, aber eben auf unsere Art – mit Regiehandschrift und Qualität. Und das macht englischsprachig auf einmal Sinn in dieser veränderten Landschaft.

Welche Vorteile hat diese durch Streaming veränderte Landschaft?

Den Streamern geht es ja nicht um die nackten Zuschauerzahlen eines einzigen Films, sondern es geht ihnen vor allem um die Wirkung auf das Abonnement. Ein Radiochef hat mal gesagt, dass es zwar niemanden gebe, der jede Sendung seines Senders gut fände, aber dass es niemanden geben sollte, der nicht zumindest eine Sendung gut fände. Streamer funktionieren ähnlich: Es geht darum, die Zuschauer für einige ihrer Filme so stark anzusprechen, dass sie ein Abonnement abschließen. Und das ist aus narrativer und filmemacherischer Sicht eine tolle Sache. Dadurch kann ich mit einem qualitätsvollen Nischenfilm – der zwar wenige Menschen, diese aber außerordentlich begeistert – eine Alternative zum Megablockbuster bieten.

Wenn Filme zunehmend weltweit laufen, besteht dann nicht die Gefahr, dass sie sich immer mehr angleichen?

Erstmal nicht, würde ich sagen. Was die Streamer machen, ist ja exakt das, was die Studios gemacht haben. Die größten Verleiher in Deutschland sind die amerikanischen Studios: Sony, Warner und Fox. Sie bringen hier die größten Filme heraus und haben auch schon immer deutschsprachige Produktionen in der Entwicklung gehabt. Sie suchen aber nicht etwa eine Angleichung des Publikums, sie wollen einfach Marktanteile haben.

Und das Angebot von Streamingdiensten ist demgegenüber nicht diverser?

Die Inhalte der Streamer fühlen sich natürlich erstmal diverser und interessanter an, aber sie zielen ja auch auf einen noch nicht besetzten Markt und eine etwas jüngere Generation. Bei Serien wie „Dark“ und „How To Sell Drugs Online Fast“ (zwei deutschsprachige Netflix-Originals Anm. d. Red.) geht es ganz klar darum, die jüngere Zielgruppe anzusprechen, zu erschließen und zu binden. Das wirkt erstmal diverser, weil es fresh und etwas Neues ist. Ob es so bleibt, wage ich jedoch sehr zu bezweifeln. Aber in dem Abomodell gibt es schon mehr Potenzial für diversere Filme.

Was vermissen Sie in dem aktuellen System?

Für Nachwuchsfilmförderung würde ich mir wünschen, dass der Vorfilm (Kurzfilm, der früher vor dem eigentlichen Kinofilm lief, Anm. d. Red.) wiederkäme – sowohl in die Kinos als auch ins Fernsehen. Fördergelder würden dann nicht direkt in den Kurzfilm fließen, sondern in die Industrie, um Kurzfilme zu kaufen. Durch das Produzieren für den Markt ließen sich künstlerische Qualität mit einem frühen Mitdenken des Publikums vereinen. So könnte auch das Publikum auf den Nachwuchs aufmerksam werden.

Eine sehr spannende Idee, die sich doch auch im Streaming umsetzen ließe, oder? Sind die progressiven Entscheider:innen von Streamingplattformen gegenüber solchen mitunter disruptiven Ideen vielleicht eher aufgeschlossen als die klassische Filmbranche?

Ich würde sagen, dass man, wenn man die Idee als disruptiv darstellt, bei den Streamern damit besser durchdringt. Während Player, die schon lange am Markt bestehen, eher konventionellen Ansätzen gegenüber aufgeschlossen sind. Vielleicht kann man wirklich eine clevere, streamingfreundliche Idee finden, dieses Vorfilmprinzip umzusetzen.

Aber?

Ich würde mir grundsätzlich ein größeres Miteinander wünschen. Ich glaube, dass die Exklusivität und die Besonderheit eines Kinoevents immer auch Glanz produziert – den auch die Streamer brauchen. Beim schwarzen Hintergrund, den Trailern und der Haptik eines Netflix-Originals wird immer noch das Flair des Kinos gesucht. Das Größte sind da ja auch immer noch Regisseure, die eigentlich klassische Kinofilmregisseure sind. Deswegen gibt es in meinem Kopf auch immer noch die Vision eines totalen Miteinanders von Festivals, Kinos, Sendern und Streamern, in der diese Synergien mehr gesucht werden.

Titelbild: © 2021, Stowaway Productions, LLC, Augenschein Filmproduktion GmbH, RISE Filmproduktion GmbH

Maximilian Leo

Maximilian Leo studierte an der Kunsthochschule für Medien Köln mit dem Schwerpunkt Spielfilmregie. 2008 gründete er zusammen mit Jonas Katzenstein die augenschein Filmproduktion. 2011 und 2012 wurde er für den Berlinale Talent Campus ausgewählt. Auf der Berlinale 2014 feierte er mit seinem Regiedebüt HÜTER MEINES BRUDERS Premiere in der Sektion Perspektive Deutsches Kino. Darüber hinaus hat er als Produzent bereits mehrere nationale und internationale Filmproduktionen umgesetzt.

Foto: ©2021, Jörn Neumann, augenschein Filmproduktion

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