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  • 16.05.2021
  • Milena Merten

"Meme-Geld für Meme-Kunst"

Non-Fungible Tokens sollen den Kunstmarkt revolutionieren. Aber tun sie das? Ein Gespräch mit dem digitalen Künstler Tim Berresheim über den Sinn und Unsinn der Kryptokunst

96 Millionen Dollar für eine Fotocollage, 1,4 Millionen Dollar für einen grauen Pixel. Seit Wochen jagt eine Rekordzahl die nächste, wenn es um die Summen geht, die bei NFT-Auktionen erzielt werden. Ein NFT ist eine „nicht austauschbare Wertmarke“, ein Besitzzertifikat für ein digitales Kunstwerk, das fälschungssicher auf einer Blockchain hinterlegt wird. Ein Traum für digitale Künstler:innen, sagen die einen. Ein unbegründeter Hype, meinen die anderen. 

Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, wenn es nach Tim Berresheim geht. Er ist bildender Künstler und spezialisiert auf computergenerierte Werke. Warum die Blockchain-Technologie in Zukunft ein Segen für die Kunst sein könnte, er aber derzeit noch kein NFT erstellen würde, erklärt er im Interview.

Tim, auf deiner Website kann man sich das „Corona-Freundchen“ herunterladen – eine Augmented-Reality-Figur, die sich mit der Smartphone-Kamera in die eigene Wohnung projizieren lässt. Ich kann ein Selfie mit dem Corona-Freundchen in meinem Wohnzimmer schießen und es auf Instagram veröffentlichen – ohne dich als Urheber zu erwähnen. Stört dich das? 

Nein, überhaupt nicht. Mir geht es eher darum, gemeinsam an einer neuen Emotionalität für das Digitale zu arbeiten. Das treibt mich beruflich um: Wie kann ich das Digitale als Tool und Buddy auf Augenhöhe nutzen? Ich möchte den Computer nicht über das Defizitäre, das Kalte, definieren, sondern über das Gemeinsame. Der Mensch soll wieder in den Vordergrund rücken. Deswegen ist das Corona-Freundchen eine warme Geste: Lasst uns doch mal ganz niedrigschwellig gucken, wie man diese Digitalität auch anders erleben kann. 

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, eines deiner Werke – zum Beispiel das Corona-Freundchen – als NFT, also als Non-Fungible-Token, anzubieten? 

Nachgedacht habe ich darüber tatsächlich. Vor sechs Jahren habe ich mit einer Kölner Firma zusammengesessen und über eine Blockchain-Lösung für die Authentifizierung von Kunstwerken nachgedacht. Das ist etwas, das ich für den Prozess interessant finde. Meine Kunst an NFTs zu binden, damit würde ich allerdings an dem Ast, an dem ich gerade arbeite, selbst sägen. Ich möchte ja, dass digitale Kunst ganz niedrigschwellig und identifikationsstiftend funktioniert. Ich habe das Gefühl, NFTs sind so abstrakt, dass sie eher wieder eine große Distanz schaffen, als dass sie Dinge vereinen, von denen ich glaube, dass sie zusammengehören.

NFTs widersprechen also deinem Verständnis von Kunst als etwas Teilbarem und Erlebbarem für alle?

Ja, für den Moment ist das so. NFTs wären eine tolle Chance gewesen, sich sinnhaft mit Technologie und der Kunst auseinanderzusetzen. Es hätte darum gehen können, dass eine Ökonomie mit niedrigschwelliger Teilhabe entstanden ist: Immerhin können alle unabhängigen digitalen Künstler:innen mit NFTs ihr Geld verdienen, die sonst mit einer Galerie hätten verhandeln müssen. Stattdessen ist da so eine Aufregung um ein Marktgeschehen entstanden. Da ging es direkt wieder um Superlative: Nur der Kram für 65 Millionen Dollar ist interessant. Das macht die Kluft zum Digitalen noch einmal größer. 

Was glaubst du: Warum ist dieser Hype um NFTs genau jetzt ausgebrochen?

Ich glaube, das ist natürlich auch Corona geschuldet. Auf einmal gab es so eine Kanonisierung der Idee, dass Kunst digital auch interessant ist. Es ist ja nicht so, dass digitale Kunst schon breit in Museen ausgestellt wäre. Das waren bisher immer singuläre Phänomene. Aber jetzt, das habe ich als digitaler Künstler an eigener Haut erfahren, gab Corona die Möglichkeit einer anderen Vermittlung von Kunst. Und dann hat man festgestellt, dass da natürlich auch eine extreme Marktdynamik drin ist. 

Manche sprechen gar von der Revolution des Kunstmarkts, die alles auf den Kopf stellt. 

Ich stehe dem Ganzen skeptisch gegenüber, weil die Kunst auf einmal mit [dem Rapper] Ja Rule oder [Twitter-Gründer] Jack Dorsey in einen Topf geworfen wird. Bei diesen Auktionen geht es einfach darum, für ein digitales Gut die Illusion eines Eigentums zu kreieren. Die Galerie Johann König hat ja auch eine Ausstellung gemacht, bei der NFTs angeboten wurden. Man hat aber ganz schnell gemerkt, dass die anderen Ökonomien die ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Markt ziehen: also Musiker:innen, die ein Konzert im Gegenwert von 1,2 Millionen Dollar als NFT verkauft haben. Es wird dann gar nicht mehr über die Bilder, sondern über diese Marktmechanismen gesprochen. 

Aktuelle Kunstwerke von Tim Berresheim: "Blick auf Alt Wassenberg I" und "Blick auf Schierwaldenrath", Harz und Pigment auf Baryt

Man gewinnt den Eindruck, dass vor allem jene Künstler:innen vom NFT-Hype profitieren, die ohnehin schon einen gewissen Bekanntheitsgrad haben. Kann man dann wirklich von einer Demokratisierung des Kunstmarkts sprechen, wie es die Befürworter:innen von NFTs tun?

Ich glaube, die Hoffnung ist da und das kann sich auch so sortieren. Aber im Moment ist das wirklich Follower-getrieben: Derjenige, der auf Instagram eine Million Follower hat oder in der Meme-Welt unterwegs ist, der verdient auch sicher gutes Geld damit. Der hatte vorher nicht die Chance, gutes Geld zu verdienen, für den ist das eine tolle Möglichkeit. Aber ich glaube, dass der Hype viel mehr mit einer Internetkultur zusammenhängt als mit einer Kunstkultur. Nach meinem Verständnis ist das Meme-Geld für Meme-Kunst. Es ist ja auch kein Kunstsammler, der die Beeple-Collage für 69 Millionen Dollar ersteigert hat, sondern ein Ethereum-Milliardär.

Also sind diejenigen, die mit NFTs spekulieren, stärker an der Technologie dahinter interessiert als an der Kunst?

Absolut. Dabei sind die technischen Prozesse auch für die Kunst sehr interessant. Beeple [Mike Winkelmann, der mit seinem NFT „Everydays“ die Rekordsumme von 69 Millionen Dollar einnahm] will ja jetzt mithilfe eines Renderers das Kunstwerk schon im Moment des Anlegens der Datei in die Blockchain schreiben. Da geht es dann wirklich um Urheberschaft. Es geht um Qualitätsmaßstäbe, über die wir reden müssen, wenn es um das digitale Kunstwerk geht. Denn anders als bei der Malerei, bei der man sehr gut beurteilen kann, ob das gut oder schlecht gemalt ist, sind die Prozesse hinter digitaler Kunst nicht offensichtlich. Ich habe die Illusion, dass künftig die Blockchain dabei helfen könnte, Maßstäbe und Kriterien festzuschreiben, die das messbar machen. 

Auf der Blockchain lässt sich alles für immer und ewig speichern. Könnte sie die Kunst auf gewisse Weise unsterblich machen?

Momentan ist das Bild selbst, die jpg-Datei, noch nicht in die Blockchain reingeschrieben. Dafür reicht die Technologie noch nicht aus. Abgelegt ist dort nur der Link zu dem Server, auf dem die Datei liegt. Es ist also nur eine Momentaufnahme. Vielleicht verweist dein gemintetes NFT in zehn Jahren auf einen Server, den es nicht mehr gibt. Wirklich interessant wäre es also erst, wenn sich das Kunstwerk selbst auf der Blockchain speichern ließe. Dann können wir nochmal neu darüber nachdenken und uns das genauer anschauen. 

Die Kunst stand der Digitalisierung ja lange skeptisch gegenüber, weil digital alles beliebig oft reproduziert werden kann. Was bedeutet für dich Einzigartigkeit?

Das Problem gibt es seit Beginn der Fotografie: Ein Dia kannst du beliebig oft replizieren. Das ist ja nicht wirklich neu und kann durch eine Authentifizierung und über Zertifikate gelöst werden. Das Problem wird jetzt nur nochmal neu aufgerollt. Auch da könnte natürlich die Blockchain helfen. Meiner Meinung nach wäre die bedeutsame Auseinandersetzung, bevor man sich präpotent auf NFTs stürzt, erst mal die Lage zu sondieren und in Ruhe zu schauen: Was bedeutet das für die Welt oder was kann das bedeuten? Können wir uns ein Bild davon machen? 


NFTs erklärt in 90 Sekunden.

Dir geht also die Entwicklung zu schnell?

Was hier passiert ist, ist einfach ein wahnsinniger Sprung nach vorne, obwohl wir uns gerade noch an der Missing-Link-Stelle, an der auch ich arbeite, befinden: Man hat die Moderne hinter sich, man hat das analoge Arbeiten an Kunst hinter sich – und wie kommen wir aus diesem Prozess nun ins Digitale? Das sollten wir uns fragen und nicht direkt nach vorne springen und sagen: Okay, jetzt machen wir nur noch Augmented Reality, Virtual Reality und NFTs. Das kommt mir wahnsinnig verfrüht vor. 

Könnte denn aber der aktuelle Hype um NFTs dazu beitragen, sich mit diesen Fragen stärker zu beschäftigen?

Ja, das kommt mir so vor. Du hast das Corona-Freundchen erwähnt. Ich glaube schon, dass viele Menschen instinktiv verstehen, dass es mir dabei um ein Arbeiten an einer anderen Emotionalität geht. Wir bekommen jetzt auch andere Anfragen: Was kann das für ein identifikationsstiftender Moment sein für jemanden, der im Jahre 2021 lebt, der das Digitale und das Analoge hat und dafür noch ein kulturelles Elaborat oder ein Artefakt braucht, das beides widerspiegelt?

Wenn du ein Werk als NFT ersteigern könntest, das es derzeit noch nicht auf dem Markt  gibt, welches wäre das?

Hm, woran hätte ich gerne Besitz? Ah, ich weiß es. Das Gedicht von Richard Brautigan, „All Watched Over by Machines of Loving Grace“ von 1964. Das hätte ich gerne als NFT. 

Vielleicht wird es ja bald angeboten. 

Dann kann ich hoffentlich zuschlagen.

Titelbild: Anna Gala / (c) Studios New Amerika

Tim Berresheim

Tim Berresheim (geb. 1975 in Heinsberg) ist ein Protagonist der zeitgenössischen bildenden, computergenerierten Kunst. Er lebt und arbeitet als Künstler und Musiker in Aachen. Dort hat er 2018 die Studios New Amerika gegründet, die neben Atelier und Gemeinschaftsbüro den Ausstellungsraum Die Kabine beinhalten. Gerade arbeitet er an einer Augmented-Reality-Radroute im Heinsberger Land. 

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