Je mehr Roboter in einem Land eingesetzt werden, desto größer wird der Gender Pay Gap. Warum das so ist, erklärt der Ökonom Cevat Giray Aksoy im Interview.
Frauen verdienen in Deutschland 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Den sogenannten Gender Pay Gap erhebt das Statistische Bundesamt jedes Jahr – und nennt auch jedes Mal verschiedene Gründe für die Differenz in den Bruttolöhnen: Frauen arbeiten statistisch häufiger in Branchen und Berufen, in denen schlechtere Gehälter gezahlt werden, sind seltener in Führungspositionen und häufiger in Teilzeit angestellt. Doch selbst wenn man diese Faktoren bei der Berechnung außen vor lässt und nur Frauen und Männer mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien betrachtet, beträgt der sogenannte „bereinigte“ Gender Pay Gap noch immer sechs Prozent.
Damit steht Deutschland nicht alleine da. Der Gender Pay Gap ist für die meisten Länder der Erde nachgewiesen worden. Der Ökonom Cevat Giray Aksoy und seine Kolleg:innen an der London School of Economics wollten wissen, ob sich der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern verändert, wenn eine weitere Gruppe in die Arbeitswelt eintritt: Roboter.
Professor Aksoy, Sie schreiben in Ihrer Studie, dass die Automatisierung die Kluft zwischen den Geschlechtern vergrößern wird. Warum?
Als wir mit der Forschung für unser Paper begannen, hatten wir keine Ahnung, dass es einen Zusammenhang zwischen der Robotisierung und dem Gender Pay Gap geben würde. Unsere Studie ist die erste, die in großem Maßstab die Auswirkungen von Industrierobotern auf das geschlechtsspezifische Lohngefälle nachweist und dafür Daten aus 20 europäischen Ländern verwendet. Wir haben festgestellt, dass der Einsatz von Robotern die Produktivität von Arbeitnehmern, sowohl von Männern als auch von Frauen, steigert und dass im Gegenzug die Verdienste von Männern und Frauen steigen, aber gleichzeitig auch das geschlechtsspezifische Lohngefälle zunimmt. Wir untersuchten die zugrunde liegenden Mechanismen, um zu verstehen, warum dies geschieht.
Was haben Sie herausgefunden?
Unsere Ergebnisse beziehen sich auf Länder mit einem niedrigen Ausgangsniveau der Geschlechtergleichstellung, wie Bulgarien, Tschechien, Frankreich und Griechenland. Das deutet darauf hin, dass die Robotisierung die bestehenden Ungleichheiten in diesen Ländern noch verschärft. Betrachtet man hingegen die Auswirkungen der Robotisierung auf den Gender Pay Gap in Ländern mit hoher Geschlechtergleichstellung wie Belgien, Deutschland, Estland und Finnland, so stellt man fest, dass die Robotisierung keine Auswirkungen auf das geschlechtsspezifische Lohngefälle hat.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Deutschland hat die höchste Roboterdichte in Europa, mit 346 Robotern auf zehntausend Beschäftigte. Als wir unsere ökonomischen Modelle nur für die deutsche Stichprobe erneut durchführten, stellten wir fest, dass sowohl die Verdienste von Männern als auch von Frauen aufgrund der Robotisierung leicht anstiegen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle jedoch relativ unverändert blieb.
Wie erklären Sie sich diese Ergebnisse?
Die Robotisierung führt zu unterschiedlichen Einkommenssteigerungen an verschiedenen Stellen der Berufshierarchie, in denen Frauen überproportional vertreten sind. Wir stellten fest, dass Männer, die in der Berufshierarchie weiter oben stehen, wie zum Beispiel hochrangige Manager, überproportional von der Robotisierung profitieren. Mit anderen Worten: Männer in Berufen mit mittlerer und hoher Qualifikation, wie z. B. Gesellschafter und Fachkräfte, profitieren am meisten von der Robotisierung: Ihr Verdienst ist stärker gestiegen als der von Frauen, die eher in den unteren Rängen der Berufshierarchie zu finden sind, was im Grunde das geschlechtsspezifische Lohngefälle verursacht. Alles in allem spielen also die anfänglichen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle.
Wie könnte dieser Effekt abgeschwächt werden?
Das ist eine sehr gute Frage, und sie ist sehr schwer zu beantworten. Die Automatisierung stellt die Arbeitsmarktpolitik vor große Herausforderungen. Viel Aufmerksamkeit wurde den allgemeinen Auswirkungen der technologischen Entwicklungen auf den Arbeitsmarkt gewidmet, z. B. der Frage, wie viele Arbeitsplätze durch die Automatisierung oder durch Roboter verloren gehen werden. Unsere Ergebnisse zeigen im Wesentlichen, dass die Automatisierung uns auch vor wichtige Verteilungsfragen stellen kann, die vom Kontext des Landes und der beruflichen Hierarchie abhängen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Länder, die bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter weniger erfolgreich waren, auch schlechter gerüstet sind, um mit technologischen Entwicklungen umzugehen, die die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sogar noch verstärken können.
Was könnte getan werden, damit sowohl Männer als auch Frauen von der Automatisierung profitieren?
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Regierungen nicht nur dafür sorgen sollten, dass die Bildungs- und Berufsbildungssysteme den Menschen die richtigen, in der Zukunft geforderten Fähigkeiten vermitteln, wie zum Beispiel die Ausbildung von mehr Frauen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, sondern dass die Regierungen auch auf die Verteilungsfragen achten müssen. Meiner Meinung nach ist dies der wichtigste Punkt für die Zukunft, denn sowohl Männer als auch Frauen sollten mit den Fähigkeiten ausgebildet werden, die für die künftige Beschäftigungsfähigkeit relevant sind. Und Frauen sollten stärker in Positionen vertreten sein, die in der beruflichen Hierarchie höher angesiedelt sind.