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  • 20.12.2021
  • Finn Blug

Leben in der Quantenwelt

Beim diesjährigen Ada Lovelace Festival drehte sich alles um Quantentechnologien. Diese werden unsere Welt in den kommenden Jahren auf den Kopf stellen – und das nicht nur technologisch.

Egal ob geheime Verbrecherorganisation im Agententhriller oder innovativer Flachbildschirm – in der Popkultur und im Marketing steht der Begriff „Quantum” seit Jahren für eine abstrakte, zugleich aber technologisch außerordentlich avancierte Vision. „Quantum“, das klingt stets einen Schritt weiter in die Zukunft, als man in der Gegenwart zu träumen wagt.

Dabei ist diese Zukunft längst zum Greifen nah: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Quantencomputing unsere Welt auf den Kopf stellt”, sagte die Quantum-Expertin und Oxford-Doktorandin Jessica Pointing in ihrer Keynote zum Auftakt des diesjährigen Ada Lovelace Festivals. Unter dem Titel „Quantum World” diskutierten Expert:innen auf dem hybriden, zweitägigen Festival den Status quo, die Chancen, aber auch die Risiken der verheißungsvollen Quantentechnologien.


Jessica Pointing während ihrer Keynote beim Ada Lovelace Festival 2021.

Klassische Computer operieren bislang nach einer binären Logik. Die Informationseinheiten, die sogenannten Bits, mit denen diese traditionellen Computer arbeiten, beruhen letztlich auf der Unterscheidung absoluter Werte – der Unterscheidung zwischen 0 und 1. Bei Quantencomputern können diese Informationseinheiten („qubits“) jedoch unendlich viele Zustände annehmen. Diese Systeme können deshalb deutlich komplexere Rechenaufgaben in viel kürzerer Zeit erledigen.

Conventional computers transform every word, every picture and every sound into an either-or, a series of zeros and ones. Quantum computers will overcome this binary logic, explains @mmeckel at #adaFestival. pic.twitter.com/IzQUopOZYW

— ada (@join_ada) December 8, 2021

Wie signifikant dieser Unterschied ist, hat die mehrfach ausgezeichnete Harvard-Absolventin Jessica Pointing in ihrer Keynote an einem einfachen Beispiel vorgerechnet: Möchte man mit einem Computer berechnen, welche Zahlen man multiplizieren muss, um als Ergebnis eine bestimmte 617-stellige Zahl zu erhalten, würde ein klassischer Computer eine Milliarde Jahre brauchen – ein Quantencomputer hingegen nur 100 Sekunden.

Der Quantensprung


Angesichts der Fortschritte, die Anwendungen der künstlichen Intelligenz in den vergangenen Jahren ohnehin schon gemacht haben, klingt die Möglichkeit eines solch massiven Anstiegs an Rechenpower nahezu unvorstellbar. Der damit einhergehende „Quantensprung“ hat folglich immenses Potenzial. Computeranwendungen, die aus heutiger Sicht nur in den kühnsten Träumen der Tech-Welt als umsetzbar gelten, rücken so in erreichbare Sphären.

In his keynote at the #adaFestival the amazing @whurley talked us through possible applications of #quantumcomputing. He says that quantum computing will help realize true #ArtificialIntelligence. pic.twitter.com/HuLBqPrES2

— ada (@join_ada) December 8, 2021

 
„Ich glaube, dass Quantencomputer eine Voraussetzung für die Entwicklung einer echten künstlichen Intelligenz sind.”, sagte William Hurley (auch bekannt als „whurley”), der Gründer und CEO vom Quantencomputing-Start-up Strangeworks beim Ada Lovelace Festival. Der Begriff „künstliche Intelligenz“ sei überstrapaziert, so Whurley. Zwar seien entsprechende Anwendungen im Bereich der Automatisierung durchaus nützlich, mit tatsächlicher Intelligenz hätten sie jedoch wenig zu tun. Whurley glaubt, dass Quantencomputer genau das ändern können – nicht zuletzt deshalb, weil ihre Rechenlogik dem menschlichen Gehirn viel ähnlicher sei als die von traditionellen Computern.

Den Träumen sind keine Grenzen gesetzt


Probleme, deren Komplexität die Kapazitäten klassischer Computer bisher schlicht überfordert haben, könnten so künftig lösbar werden. Entsprechend beeindruckend lesen sich Aufzählungen möglicher Anwendungen der Technologie: Von der Entwicklung und Erforschung neuer Medikamente und insbesondere neuer Impfstoffe, über präzisere Wettervorhersagen, genaue Aktienprognosen und perfekte Echtzeit-Sprachverarbeitung, bis hin zu unhackbaren Datenschutz – in der Theorie scheint nahezu alles möglich.

Die dystopische TV-Serie „Devs“ geht sogar so weit, dass ein Superquantencomputer eines Tages tatsächlich die Zukunft vorhersagen kann. Aus dem einfachen Grund, dass er dazu in der Lage ist, die Komplexität des Lebens zu berechnen. Das zeigt: Die Verheißungen der Quantentechnologien befeuern kühne Zukunftsträume. Fernab von Science-Fiction und aktuellem Zeitgeist wird hier aber vor allem deutlich, wie wichtig ist es ist, schon heute über die wichtigsten Aspekte und Implikationen einer künftigen Quantenwelt nachzudenken.

Wie weit solche Träume reichen können und in welchen Sphären die Quantentheorie zu denken einlädt, führte Avi Loeb, Harvard-Professor für theoretische Physik, den Teilnehmenden des Ada Lovelace Festival vor Augen. Im Gespräch mit Miriam Meckel über die Zukunftserwartungen an Quantum sagte er: „Wir können uns vorstellen, dass wir durch die wissenschaftliche Methode eines Tages verstehen, wie man Quantenmechanik und Schwerkraft miteinander verbindet – und dass es dann möglich sein könnte, ein Baby-Universum zu schaffen.“

 

Der Status quo


Aber wo stehen wir in der Entwicklung von Quantencomputern eigentlich gerade? Die Forschung konnte die Rechenkapazität von Quantencomputern in den vergangenen Jahren stetig steigern. Googles Quantenprozessor „Sycamore” erreichte 2019 für damalige Verhältnisse bahnbrechende 54 Quantenbits, was IBM mit seinem kürzlich vorgestellten Quantencomputer „Eagle” mit 127 Qubits mehr als verdoppeln konnte. Und dieser Trend wird sich fortsetzen: „Wir planen mit 433 Qubits im nächsten Jahr und 2023 mit über eintausend Qubits”, sagte Jerry M. Chow, Direktor der Quanten-Hardware-Systementwicklung bei IBM während seiner Keynote beim Ada Lovelace Festival.

Jedoch sind die heutigen Systeme noch nicht so weit, im Alltag eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Technologie ist noch viel zu teuer und durchaus fragil. Dazu kommt, dass Quantencomputer zwar schon heute sehr komplexe Aufgaben unfassbar schnell lösen können, dabei handelt es sich aber größtenteils um sehr spezifische mathematische Aufgaben ohne praktischen Nutzen.

Neben immer leistungsfähigerer Hardware braucht es also auch reale Anknüpfungspunkte, in denen Quantencomputer tatsächlich einen Unterschied machen können. Das sei insbesondere bei Chemie- und Materialsimulationen der Fall, wie Kitty Yeung, Senior Quantum Architect bei Microsoft hervorhob. „Das könnte uns dabei helfen neue Katalysatoren zu entwickeln, bessere Batterien zu entwerfen (..) und dem Klimawandel entgegenzuwirken.” Obwohl Yeung betonte, dass Quantentechnologien eben kein Allheilmittel seien, sondern nur in ganz bestimmten Feldern in absehbarer Zeit echten Fortschritt versprechen, wird deutlich: Zumindest in Teilen hält die Quantenrevolution Antworten auf einige der drängendsten Fragen der Gegenwart bereit.

At #adaFestival @KittyArtPhysics gave us insights about #quantum business applications and how the technology could be used to solve real-life problems.@MSFTQuantum pic.twitter.com/UMAUO05mml

— ada (@join_ada) December 8, 2021

 

Die Quantenbedrohung


Die Chancen von Quantentechnologien sind also immens. Doch dieses Potenzial und insbesondere der exponentielle Anstieg an Rechenleistung, den Quantencomputer versprechen, hat auch seine Schattenseiten. So könnte die Fähigkeit, hochkomplexe mathematische Probleme in Windeseile zu lösen, zur Bedrohung für fast alle heute verbreiteten Formen der Verschlüsselung von Daten werden.

Die US-Regierung befürchtet beispielsweise, dass Hacker schon heute sensible Daten stehlen könnten, um sie in zehn Jahren mit einem Quantencomputer zu knacken. „Die Bedrohung besteht darin, dass sie Ihre verschlüsselten Daten kopieren und so lange aufbewahren, bis sie einen Quantencomputer haben“, sagt Dustin Moody, Mathematiker am US-amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST).

Bereits jetzt ist es deshalb enorm wichtig, an der Entwicklung von „quantensicheren“ Verschlüsselungsmethoden zu arbeiten: „Jedes Unternehmen, das über geistiges Eigentum oder Geschäftsgeheimnisse verfügt, die auch in fünf bis zehn Jahren noch sicher sein müssen, sollte eine Risikobewertung seiner Daten und seiner derzeitigen Verschlüsselungsmethoden vornehmen und prüfen, ob es Schlüsselbereiche gibt, in denen es heute Maßnahmen ergreifen sollte“, sagte Medb Corocoran, Managing Director von Accenture Labs in Irland und Expertin im Bereich Responsible AI im Panel zu Industrieanwendungen von Quantum. Sie machte damit deutlich, dass die „Quantenbedrohung“ („Quantum Threat“), von der in Bezug auf Quantencomputing immer wieder die Rede ist, eine durchaus ernstzunehmende Gefahr darstellt. Diese Bedrohung sei allerdings eine sehr spezifische Bedrohung für ganz bestimmte Systeme, betonte Natalie Kilber, Manager AI & Emergent Technology Strategy bei MHP.


Léa Steinacker, Natalie Kilber, Manfred Rieck und Medb Corcoran im Panel zu Industrieanwendungen von Quantum.

Wie sensible Daten künftig verschlüsselt werden können, lässt sich nicht pauschal sagen, aber auch hier könnten die Quantentechnologien perspektivisch eine wichtige Rolle spielen, wie Natalie Kilber erklärte: „Wir brauchen verschiedene Arten der Verschlüsselung. Für sehr wichtige Daten könnten wir auf Quantentechnologien zurückgreifen (...) Wir können so das ganze System neu erfinden und eine weitere Schicht hinzufügen oder es auf eine Weise erweitern, an die wir bisher nicht gedacht haben".

Unabhängig von der Frage, ob das bestehende System der Verschlüsselung nun erweitert oder komplett neu erfunden werden muss, wie viele Innovationen zuvor sind Quantentechnologien Teil des Problems und der Lösung zugleich – und stehen letztlich im Zentrum einer Veränderung, die nicht nur technologisch stattfindet.

Quantum als Metapher


„Technologie ist nicht nur ein Medium, sondern auch eine Metapher für unsere Lebensbedingungen – für die Veränderungen der Welt, in der wir leben", sagte Miriam Meckel zu Beginn des Ada Lovelace Festivals und öffnete das technisch-abstrakte Thema der Konferenz damit für eine breitere Auseinandersetzung. Die Abkehr von einer binären Rechenlogik, wie sie beispielsweise das Quantencomputing verspricht, ist nämlich nicht nur technologisch hochspannend. Auch auf einer gesellschaftlich-metaphorischen Ebene steht sie für echten Wandel: Egal ob diskriminierende Algorithmen oder Echokammern mit extremistischem Gedankengut, in den vergangenen Jahren haben wir gesehen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn sich unsere Lebensrealität technologisch immer mehr mit der binären Schwarz-Weiß-Logik klassischer Algorithmen verschränkt. Die Quantentheorie hingegen bricht diese Dichotomie auf – und geht sogar noch einen Schritt weiter.

In der Quantenmechanik geht es um die physikalischen Eigenschaften von Materie im Größenbereich der Atome und noch kleiner, die sich mit klassischer Physik nicht beschreiben lassen. Faszinierend an dieser Quantenebene ist, dass sich hier Teilchen auf eine besondere Art und Weise miteinander verschränken können („Entanglement“), wie die US-amerikanische Teilchenphysikerin Jessica Esquivel in ihrer Keynote beschrieb: „Entanglement ist eine quantenmechanische Eigenschaft, die Quantenteilchen so stark miteinander verbindet, dass man das eine nicht ohne das andere beschreiben kann.“ Und selbst, wenn man die Teilchen wieder voneinander trenne, seien sie immer noch miteinander verbunden. So sehr, dass man auch Informationen über ein weit entferntes Teilchen abrufen könne, in dem man das nächstliegende Partikel betrachte, so Esquivel.


Jessica Esquivel während ihrer Keynote beim ALF 21.

Zwei Entitäten, untrennbar miteinander verschränkt, sodass die eine ohne die andere nicht vollständig erklärbar ist? Das klingt plötzlich gar nicht mehr nach theoretischer Physik, sondern nach einem Phänomen, nach dem wir alle in unserem Leben streben: Liebe. 

Ebendiese wunderschöne Analogie und Verbindung zwischen der menschlichen Bedingung und dem Quantenzustand zog die Poetin und Künstlerin Cassandra Myers in ihrem bewegenden Gedicht „Quantum Entanglement”, das sie am Ende des Ada Lovelace Festivals vortrug:

Welche Chancen die Quantenwelt nicht nur technologisch, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene eröffnet, fasste Léa Steinacker so zusammen: „Wir brauchen dringend mehr Nuancen, weniger Absolutismus und mehr Toleranz für Unklarheiten, um uns auf die positiven Auswirkungen und Lehren zu konzentrieren, die wir selbst aus schwierigen Zeiten ziehen können.”

Das klingt tatsächlich wieder mehr nach der Utopie, die wir mit dem Wort „Quantum“ verbinden: einen Schritt weiter in die Zukunft, als viele Menschen heute zu träumen wagen – eine hoffnungsvolle, erstrebenswerte Zukunft, in der Technologie, Gesellschaft und Kultur eine gemeinsame Realität teilen werden.

Fotos: Stephan Floss

Ada Lovelace Festival

Das jährlich stattfindende Ada Lovelace Festival ist eine einzigartige Wissens- und Networking-Plattform für Tech-Talente und -Enthusiasten. Im Geiste von Ada Lovelace - der ersten Programmiererin der Geschichte - feiern wir herausragende digitale Innovationen und diskutieren die Auswirkungen des technologischen Wandels auf alle Bereiche des Lebens. Wir sind überzeugt, dass unsere Zukunft besonders erfolgreich sein wird, wenn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund sie mitgestalten. www.ada-lovelace-festival.com/festival/

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