Zurück ins Büro? Viel Spaß mit den größten Kulturkämpfen seit Einführung der Gewerkschaften.
Apple hat es getan, Amazon und selbst Google: Die großen Tech-Konzerne ordern einer nach dem anderen ihre Mitarbeiter:innen zurück ins Büro. Bei Apple löste das Kommando einen kleinen Schock aus: 80 empörte Mitarbeiter:innen setzen einen offenen Brief an Apple-Chef Tim Cook auf. Ohne entsprechende Flexibilität hätten viele das Gefühl, sich zwischen ihren Familien, ihrem Wohlbefinden und der Möglichkeit, ihre beste Arbeit zu leisten, oder der Zugehörigkeit zu Apple entscheiden zu müssen, schrieben sie darin.
Apple und Cook werden die Palastrevolution überleben. Zu groß ist die Strahlkraft beider Marken und das Prestige, bei Apple, Amazon oder Google zu arbeiten, als dass sich die Dauerhaft-daheim-bleiben-Fraktion wird durchsetzen können. Das Nachsehen in der nun beginnenden Post-Corona-Arbeitswelt werden andere haben.
Fachkräftemangel – war da nicht mal was? Mit voller Wucht hat Corona das dringendste Problem der deutschen Wirtschaft auf die nächste Stufe gehievt – und wie bei allen Problemen, die diese Pandemie an die Oberfläche gespült oder verstärkt hat, blicken viele Betroffenen nun in einen Abgrund. Denn auch der deutsche Mittelständler in Tübingen, das Start-up in Berlin oder der DAX-Konzern in München brauchen digital versierte Fachkräfte, Automatisierungs-Profis, Daten-Expert:innen. Besonders gefragt in der deutschen Wirtschaft sind derzeit erstaunlicherweise sogar Social-Media-Fachkräfte.
Deshalb spielen sich derzeit in vielen Unternehmen Kulturkämpfe ab, wie es sie vermutlich seit der Erfindung der Gewerkschaften nicht mehr gegeben hat. Die Geschäftsführung, die Team Leader und die Personalabteilung wollen die Mitarbeiter:innen möglichst oft wieder zurück ins Büro locken. Und merken: die Liebe wird nicht unbedingt erwidert. Die einen wollen überhaupt nicht mehr zurück ins Büro, die anderen nur dienstags und am Freitag bis 10, andere wiederum wollen gerne auch vom Strand aus in Tulum arbeiten. Die Besten kündigen, die anderen motzen. Die Wahrheit ist: Die Rückkehr ins Büro, nach der sich so viele zu Beginn der Pandemie sehnten, wird vermutlich unangenehm und sie wird für Unternehmen teuer.
Konzerne, die an möglichst viel Präsenz festhalten wollen, können immerhin mit üppigen Gehältern locken. Start-ups, die das auch wollen, mit flachen Hierarchien und Raum für Entfaltung. Alle anderen haben ein Problem. Sie werden Opfer der immer sichtbarer werdenden Zweiteilung der (deutschen) Wirtschaft und werden durch den Fachkräftemangel immer weiter abgeschlagen. Denn wer die High-Potentials bisher nicht locken konnte, dem wird es nach Corona erst recht nicht gelingen. Die Hochqualifizierten sitzen am längeren Hebel – und der wird immer länger.
Das Büro der Zukunft ist flexibel
Die gute Nachricht: Warum sich nicht aus der neuen Arbeitswelt Modelle abschauen, um die alte ein wenig in die Zukunft zu retten? Es gibt sogar welche, die das Beste aus beiden Welten zu vereinen vermögen. Der Online-Kosmetik-Versand Flaconi aus Berlin macht es etwa vor.
So geht es: Jede Kollegin und jeder Kollege im Berliner Hauptquartier wird sich bei Flaconi in Zukunft frei entscheiden können, ob er oder sie eher ein Büromensch ist oder nicht. Dafür hat Flaconi zwei Kategorien entwickelt, für die sich jede:r entscheiden muss: Settler und Traveller. Die Settler – oder Siedler – haben wie gewohnt einen festen Arbeitsplatz im Büro. Sie können ihre Hardware an ihrem Schreibtisch lassen und darauf ihre persönlichen Fotos oder Kuscheltiere platzieren – eben all das tun, was schon bisher in vielen Büros üblich ist. Im Gegenzug wird erwartet, dass sie diesen Arbeitsplatz auch möglichst viel nutzen. Die Settler können weiterhin einen Tag in der Woche flexibel arbeiten, sollen aber die restliche Zeit vor Ort verbringen.
Mehr Flexibilität haben dagegen die Traveller – also die Reisenden. Sie können bis zu drei Tage in der Woche flexibel arbeiten. Dafür stellt ihnen Flaconi eine Büroausstattung fürs Heimbüro, bestehend aus externem Monitor und Bürostuhl. Im Gegenzug müssen sie im Büro mit einem Flexdesk auskommen, haben also keinen festen Arbeitsplatz.
An zwei Tagen pro Woche sollen jedoch auch bei Flaconi weiterhin alle Kolleg·innen ins Büro kommen, damit der Austausch und der Zusammenhalt untereinander klappt. Meine Prognose: So werden wir in spätestens zehn Jahren alle arbeiten. Die Frage ist nur, welche Arbeitgeber bis dahin den Wandel überlebt haben.