Chimamanda Ngozi Adichie liest viel – nicht nur in Büchern, sondern auch auf ihrem Handy. Ein Gespräch über den achtsamen Umgang mit Technologie und die „Erwartung von Perfektion und Makellosigkeit" in den sozialen Medien
In #TheScreen sprechen wir mit Menschen über ihre Bildschirmzeit und wie ihnen ein achtsamer Umgang mit Technologie gelingt. Diesmal haben wir die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie gefragt, wieso sie einen Unterschied zwischen „richtigem“ Lesen und dem Lesen online macht und wie sie mit Negativität in sozialen Medien umgeht.
Frau Adichie, wie oft am Tag schauen Sie auf Ihr Handy?
Chimamanda Ngozi Adichie: Das hängt davon ab, was ich gerade tue. Ich nutze mein Handy für ziemlich viele Dinge. Ich benutze es, um mir Notizen zu Ideen zu machen – zu Dingen, die mir einfallen oder die ich höre. Das ist Teil meines Schreibprozesses. Außerdem schreibe ich SMS. Aber ich benutze keine sozialen Medien.
Achten Sie auf Ihre Bildschirmzeit? Verwenden Sie irgendeine Art von Tracking?
Ich habe diese Funktion auf meinem iPhone, die mir sagt: „Deine Bildschirmzeit hat abgenommen“. Aber ich glaube, für mich geht es nicht um die Bildschirmzeit selbst. Es geht darum, wofür ich das Handy genutzt habe. Wenn meine Bildschirmzeit gestiegen ist, weil ich auf meinem Handy gelesen habe, stört mich das nicht. Denn manchmal, wenn ich mein iPad nicht dabei habe, lese ich auf meinem Handy. Auf meinem Flug hierher [nach Deutschland] war ich vor allem deshalb an meinem Handy, weil ich eine Biografie von Angela Merkel gelesen habe.
In Ihrem Gespräch mit Angela Merkel sagten Sie, dass Sie zwischen „echtem” Lesen und dem Lesen online unterscheiden. Würden Sie auch bei der Nutzung von Technologie so differenzieren?
Ich glaube, ich fühle mich schlecht, wenn ich online Schund lese – und das tue ich ziemlich oft. Wenn ich schlecht gelaunt bin, lese ich oft Klatsch und Tratsch oder einfach nur stupide Artikel. Manchmal kann man einfach nicht aufhören. Man klickt auf eine Sache, dann auf eine andere und am Ende hat man das Gefühl, seine Zeit mit dem Verzehr von sehr schlechtem Essen verschwendet zu haben.
Setzen Sie sich also Zeitlimits für bestimmte Klatsch-Apps?
Nein, das tue ich nicht. Ich bin nicht sehr abhängig von Technologie. Ich habe nicht viele Apps. Wenn ich also meine Zeit mit dem Lesen von Schund verbringe, höre ich irgendwann auf und versuche, etwas Nützliches zu lesen. Ich lese auch viel in Nachrichten-Apps, ich habe mehrere Zeitungen auf meinem Handy – wie die Financial Times, die New York Times, die Washington Post, das Wall Street Journal.
Sie sagten, Sie nutzen die sozialen Medien überhaupt nicht. In den vergangenen Monaten gab es einige Kritik an Ihnen auf Twitter [Chimamanda Ngozie Adichie wurde wegen Äußerungen über Trans-Frauen kritisiert, Anm. d. Red.]. Lesen Sie das nie, sind Sie sich dessen also nicht bewusst?
Natürlich bin ich mir dessen bewusst. Aber dass ich es weiß, bedeutet nicht, dass ich es lese. Wenn ich sage, dass ich die sozialen Medien nicht nutze, heißt das nicht, dass ich mich ausschließe. Ich kenne meine Persönlichkeit gut genug, um zu wissen, dass soziale Medien einfach nicht zu mir passen. Ich mag die falsche Intimität nicht. Ich mag es nicht, wenn die Leute eine gewisse Form von Höflichkeit missachten. Ich habe ein Instagram-Konto, mit dem ich sehr zufrieden bin. Normalerweise kümmert sich meine Assistentin darum, ich bin nicht aktiv daran beteiligt. Ich habe die App nicht auf meinem Handy. Aber ich weiß in der Regel, wenn es Kritik oder Unruhe gibt, weil meine Leute mir Bescheid sagen. Und manchmal, wenn ich der Meinung bin, dass ich darauf reagieren sollte, bitte ich sie, mir das Gesagte zu schicken.
Und wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, eines der schlimmsten Dinge daran, eine öffentliche Person zu sein, ist, wie leicht man missverstanden werden kann. Vor allem in der heutigen Zeit, in der die Leute nicht zuhören. Jemand sagt: „Oh, das hat sie gesagt, das ist ja schrecklich“. Dann fragt man diese Menschen: „Was wurde denn gesagt?,“ und dann wissen sie es nicht wirklich. Das kann frustrierend sein. Aber es ist nicht immer negativ. Ich glaube es ist sehr einfach, sich darauf zu konzentrieren, wer etwas Schreckliches gesagt hat. Es gibt aber auch viel Schönes in sozialen Medien. Manchmal erzählt mir jemand von einer Frau, die sagte: „Ich habe Sie gelesen und es hat mich stärker gemacht und ich fühlte mich ermutigt, etwas zu tun.“
Sie nehmen also die positiven Effekte auf, versuchen aber zugleich, die negativen Aspekte nicht zu nah an sich heranzulassen?
Ich habe keine Angst vor Negativität. Ich kann damit umgehen und es gehört dazu. Aber ich werde mich nicht darauf konzentrieren. Ich werde nicht nach Dingen suchen, die mich aufregen, denn wenn man danach sucht, wird man sie finden. Ich weiß, dass man als Person des öffentlichen Lebens, die starke Positionen vertritt, unweigerlich auf Gegenwind stößt. Ich habe über die sozialen Medien geschrieben, weil ich sie wirklich für ein Problem halte: Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass es die Menschen gut meinen, wir lassen ihnen keinen Raum für Fehler. Es gibt eine Art Erwartung von Perfektion und Makellosigkeit von jedem. Ich finde das schrecklich. Als ich darüber schrieb, hatte ich gehofft, andere Menschen zu ermutigen. Ich glaube, dass viele Menschen genauso empfinden, sich aber nicht trauen, etwas zu sagen. Denn auch das ist Teil dieser neuen Kultur, in der wir leben und in der alle so eingeschüchtert sind. Ich meine, das ist fast faschistisch.
Würden Sie raten, die sozialen Medien komplett zu verlassen?
Nicht unbedingt. Ich glaube nicht, dass die Antwort darin besteht, sich abzuwenden und wegzulaufen. Wir sollten uns dem Problem annehmen und es in Ordnung bringen. Eine Lösung wäre, sich dafür zu entscheiden, soziale Medien bewusst zu verwenden – sich bewusst darüber zu sein, woran man sich eben nicht beteiligen will. Wenn es also heißt: „Oh, sie hat etwas Falsches gesagt!“ und jeder plötzlich allen erdenklichen Unsinn schreibt – entscheide dich einfach dafür, das nicht zu tun. Und nicht nur das: Sage den Menschen um dich herum, dass sie das nicht tun sollten. Ich denke das ist der richtige Weg, um voranzukommen, denn soziale Medien werden bleiben, sie sind bereits ein Teil unserer Existenz. Ich glaube aber, dass wir es besser machen können. Ich glaube wirklich, dass wir diese Welt zu einem besseren Ort machen können, wenn wir uns dafür entscheiden.
Titelbild von Chimamanda Ngozi Adichie: Getty Images