Das Virus hat unseren Arbeitsalltag auf den Kopf gestellt. In der hybriden Arbeitswelt erfordert Führung mehr Achtsamkeit und Empathie. Ein exklusiver Gastbeitrag von Marianne Janik, Chefin von Microsoft Deutschland
Im November 2020 habe ich meinen neuen Job als Vorsitzende der Geschäftsführung bei Microsoft Deutschland angetreten. Unter Coronabedingungen, sprich: ohne Welcome-Feiern, ohne Kantine, ohne Smalltalk im Flur – also eigentlich ohne all das, was üblicherweise den Jobwechsel erleichtert. Dennoch hat der Einstieg gut funktioniert – wie ja auch der Umstieg auf Remote-Arbeit in den meisten deutschen Unternehmen überraschend gut geklappt hat. Wir haben uns alle ganz gut eingerichtet in unserer neuen, virtuellen Realität. Und merken oft erst, wenn wir diese wieder verlassen, dass uns doch etwas gefehlt hat. So ging es mir jedenfalls letzten Sommer in meiner ersten Arbeitswoche im Münchner Büro von Microsoft. Die vielfältigen physischen Begegnungen waren ungewohnt und bereichernd zugleich. Ich fühlte mich erschöpfter und gleichzeitig wacher als nach einer Woche im Home-Office. Woran liegt das?
Bei der Aufgabe, den Zufall zu organisieren, stoßen die besten Tools an ihre Grenzen
Eine Antwort liefert eine Studie von Microsoft Research. Demnach hat der unternehmensweite Umstieg auf Remote-Arbeit zwar dazu geführt, dass einzelne Teams enger zusammengerückt sind. Aber gleichzeitig gingen die Verbindungen zu weiter entfernten Kolleg:innen verloren und das eigene Netzwerk schrumpfte. Das ist problematisch, weil gerade der Austausch mit Menschen, mit denen wir nicht täglich eng zusammen arbeiten, unseren Horizont erweitert. Letztlich fehlen die zufälligen Begegnungen, die uns mit Informationen versorgen, von denen wir vorher noch gar nicht wussten, dass wir sie brauchen – also genau die Inspiration, die unsere Gedanken in neue Bahnen lenkt und unsere Kreativität triggert. So sehr uns Tools und Technologien in der Pandemie geholfen haben, so stoßen sie hier mitunter an ihre Grenzen – nämlich bei der Aufgabe, den Zufall zu organisieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass uns auch dafür noch Lösungen einfallen. Doch momentan ist an dieser Stelle vor allem der menschliche Erfindungsgeist gefragt. Bei Microsoft-Mitarbeiter:innen erfreut sich beispielsweise unsere „virtuelle Espressobar“ großer Beliebtheit, als Treffpunkt zum zwanglosen Austausch. Und nach Meetings mit allen Mitarbeiter:innen schicken wir die Teilnehmenden auch schon mal per Zufallsgenerator in Break-out Rooms. Auch ein Versuch, Überraschungen & Spontaneität in den virtuellen Alltag zu bringen.
Eine Rückkehr zur Prä-Corona-Arbeitswelt ist so wenig wahrscheinlich wie wünschenswert
Das Virus hat die Arbeitswelt nachhaltig auf den Kopf gestellt. Eine Rückkehr zu Prä-Coronazeiten ist an dieser Stelle so wenig wahrscheinlich wie wünschenswert. Die Pandemie war der längst fällige Reality-Check für den New Work-Gedanken. Und er hat ihn glänzend bestanden: Laut einer Hays-Umfrage waren drei Viertel der Befragten positiv überrascht, wie gut das Arbeiten zuhause funktioniert, 64 Prozent gaben an, im Home-Office produktiver zu sein und 70 Prozent empfanden das Verschmelzen von Beruflichem mit Privatem als angenehm. Den erlebten Zugewinn an Flexibilität und Eigenverantwortung, das stärker ergebnisorientierte Arbeiten und die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Job wollen die meisten Mitarbeitenden auch nach der Pandemie nicht mehr missen. Laut einer aktuellen Studie wären 40 Prozent der deutschen Angestellten sogar bereit, den Job zu wechseln, wenn sie wieder fünf Tage die Woche ins Büro müssten. Darauf müssen die Unternehmen reagieren – und sie tun es bereits.
- Über die Hälfte der deutschen Unternehmen hat bereits neue Home-Office-Regelungen eingeführt.
- Die Mehrheit strebt eine „hybride“ Lösung an, mit einem bevorzugten Mix aus drei Tagen im Unternehmen und zwei Tagen im Homeoffice – das entspricht auch weitgehend den Wünschen der Beschäftigten.
- Und 84 Prozent wollen den digitalen Wandel vorantreiben, um für die Zukunft der Arbeit noch besser gerüstet zu sein.
Ich sehe aktuell in allen Organisationen einen wachsenden Bedarf an digitalen Lösungen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen – indem sie beispielsweise die Unternehmenskultur greifbarer machen, den Zugang zu Wissen vereinfachen und das Wohlbefinden von Mitarbeitenden fördern. In den vergangenen Monaten haben wir ja bereits einen enormen Schub bei der Verbreitung und Weiterentwicklung von Collaboration-Tools erlebt.
Neue Features wie die integrierte Sprachübersetzung oder Lösungen für mehr Barrierefreiheit wie die automatische Transkription von Videocalls erleichtern den Arbeitsalltag schon heute enorm. Und ich bin sicher, dass wir noch ganz andere Möglichkeiten erleben werden, um hybrid noch besser zusammenzuarbeiten und Meetings immersiver zu gestalten. Vielleicht treffen wir uns wirklich bald als Holografien zum Lunch oder verabreden uns als Avatare zum virtuellen Brainstorming? Dennoch wird uns Technologie die Gestaltung der neuen hybriden Arbeitswelt zwar erleichtern, aber nicht abnehmen. Noch gibt es an vielen Stellen mehr offene Fragen als echte Antworten: Wie gestalten wir Räume und Arbeitsplätze? Wie unterstützen wir die Qualifikation von Mitarbeiter:innen? Wie wirken wir Überforderung und „Selbstausbeutung“ entgegen? Wie sichern wir Zusammenhalt, Zugehörigkeit und Identifikation? Und die aus meiner Sicht vielleicht wichtigste Frage: Wie fördern wir Vertrauen?
Hybrides Arbeiten bedeutet mehr als nur ein paar Tage Home Office für alle
Tatsächlich scheint das Vertrauen sowohl unter Team-Kolleg:innen als auch zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften zu sinken – und zwar stärker in hybriden Settings als bei reinen Remote-Modellen. Dies deute darauf hin, „dass viele Führungskräfte noch Probleme haben, die richtige Kommunikations- und Interaktionsformen in einer hybriden Arbeitswelt zu finden“, schreiben die Autoren der Konstanzer Homeoffice-Studie. Damit haben sie sicher recht. Doch ich glaube, wir müssen erst noch einen Schritt zurückgehen – und uns klar machen, dass „Hybrides Arbeiten“ viel mehr bedeutet als ein paar Tage Home-Office für alle. Wir müssen akzeptieren, dass „Hybrid Work“ etwas ganz Neues ist. Und dieses Neue will gestaltet, verhandelt und erprobt werden. Es braucht neue Regeln, neue Prozesse und neue Strukturen, aber gleichzeitig auch ein neues Verständnis von (Eigen-)Verantwortung, von Zusammenarbeit und von Führung – also letztlich eine neue, von Vertrauen und Flexibilität geprägte Kultur.
Der Weg dahin bedeutet gerade auch für Führungskräfte enorme Anforderungen an Achtsamkeit und Empathie, damit zu jeder Zeit alle Kolleg:innen gleichermaßen Gehör finden und niemand unterwegs verloren geht. Das fängt bei scheinbar banalen Fragen an: Wie gehen wir in Meetings damit um, dass ein Teil der Belegschaft im Büro ist und der andere Teil zuhause? Womöglich mit schlechter Internetverbindung?
Wenn es um hybride Arbeitsmodelle geht, gibt es keine „One size fits all“-Lösung
Für mich persönlich ist es essentiell, die verschiedenen Persönlichkeiten in der Kommunikation zu berücksichtigen – und auch das beginnt bereits bei der Meetingkultur. Hier gilt es, flexibel zu bleiben und je nach Situation und den Präferenzen der Gesprächspartner:innen die richtigen Kommunikationswege zu finden. Das kann auch mal bedeuten, das Gespräch auf die Audiospur zu beschränken und sich vollkommen auf die Inhalte zu fokussieren. Soft-Skills sind jetzt mehr gefragt denn je: Ich habe beispielsweise angefangen, bewusster auf Körpersprache zu achten – meine eigene wie die meiner Kolleg:innen. So kann ich viel besser einschätzen, ob ich wirklich alle mitnehme.
Wenn es um hybride Arbeitsmodelle geht, gibt es keine „One size fits all“-Lösung – und dadurch steigt naturgemäß auch die Komplexität. Damit Zusammenarbeit in einer zunehmend hybriden und diversen Belegschaft funktioniert, gilt es, die unterschiedlichsten Erwartungen und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Wir müssen sämtliche Mitarbeiter:innen befähigen, produktiv und kreativ zu sein und sich mit dem Unternehmen verbunden zu fühlen, wo auch immer sie sich gerade befinden. Das ist eine große Herausforderung und eine noch größere Chance. Denn wir können jetzt unsere Arbeit in unser Leben integrieren, statt unser Leben von Arbeit beherrschen zu lassen. Zum echten Erfolg wird die hybride Welt, wenn jede:r Einzelne als Architekt:in der eigenen individuellen Arbeitsweise agieren kann – und gleichzeitig ein echter Mehrwert für alle entsteht.
Titelbild: Microsoft