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  • 04.05.2021
  • Miriam Meckel

Eine Wette auf die Zukunft

NFTs rütteln an ein paar Gegebenheiten der Märkte. Das ist gut so. Ein Plädoyer für mehr digitalen Wagemut.

Am Anfang schuf Beeple ein NFT. Und der Markt für digitale Kunst war wüst und leer, und Finsternis lag auf dem Gemüt der Kunsthändler:innen, und der Geist der unendlichen Vervielfältigung lag über dem Internet. Und Beeple sprach: Mein NFT sei einzigartig. Und das war es und brachte 69 Millionen Dollar. Und Beeple sah, dass das Werk gut war.

Es ist eine Schöpfungsgeschichte, die da am 11. März geschehen ist, als der Künstler Beeple öffentlichkeitswirksam sein Werk „Everydays: The first 5000 days" bei einer Auktion von Christie’s für 69 Millionen Dollar verkaufte. Die Aktion war keine Hommage an die Vergangenheit, sie war eine Wette auf die Zukunft. Sie betraf nicht ein traditionelles Kunstwerk, sondern ein NFT, ein Non-Fungible Token. Es war auch eine Wette gegen die etablierten Gesetze des Marktes.

Ein Non-Fungible Token ist eine digitalisierte Wertmarke, die ein zertifiziertes Original repräsentiert. Alles, was digital ist, lässt sich in ein NFT verwandeln: Fotos, GIFs, Videos, ein Bild meines Gehirns im MRT während ich diese Kolumne schreibe. Solche digitalen Objekte lassen sich unendlich kopieren, nicht aber das NFT, denn es wird auf der Blockchain registriert. Damit ist es einzigartig und untauschbar.

Das NFT eines Kunstwerks spiegelt, was der deutsche Philosoph Walter Benjamin einst „Aura" nannte und als „Unnahbarkeit", „Echtheit" und „Einmaligkeit" beschrieb. Um diese „Aura" hat Benjamin sich schon 1935 Sorgen gemacht, weil die „elektronische Reproduzierbarkeit" eines Kunstwerks sie vernichte. Mithilfe der Blockchain lässt sich diese „Aura" wieder retten. Für die digitale Kunst eröffnet das einen ganz neuen Resonanzraum im Markt. Plötzlich bekommt sie zurück, was im Digitalen verloren gegangen war: Einzigartigkeit und Verknappung. Aus ihnen erst entsteht materieller Wert. Ein Sammler zahlt keine Unsummen für den Abzug eines Picassos, das Original erzielt dagegen knapp 30 Millionen.

So hat sich Beeple zumindest bei denen Respekt verdient, die 69 Millionen Dollar grundsätzlich als Erfolg sehen. Viele andere sehen in NFTs nur die nächste Blase oder sogar den nächsten Beschiss im digitalen Kapitalismus. Das ist zu schnell gesprungen.

NFTs öffnen einen elitären Markt für Akteure, die dort bislang keinen Zugang und keine Chance hatten, und ihre Einsatzmöglichkeiten reichen weit über die Kunst hinaus. Jede Person, die etwas Digitales produziert, kann davon ein NFT herstellen und es verkaufen. Dafür braucht man nicht mal eine traditionelle Plattform, wie Beeple sie mit Christie’s genutzt hat. Es gibt genügend Marktplätze, auf denen NFTs gehandelt werden können. Nicht jeder Verkauf bringt Millionensummen, aber jeder kann ein NFT produzieren und Millionen anderen zum Kauf anbieten. Wenn ein Tweet von Twitter-Gründer und CEO Jack Dorsey knapp drei Millionen Dollar einspielt, kann man entsetzt den Kopf schütteln – oder die Energie lieber zum Nachdenken nutzen.

NFTs rütteln nämlich, ganz im Sinne der kreativen Zerstörung, an ein paar Gegebenheiten der Märkte. Da ist der Besitz von Dingen, den Vordenker, wie Jeremy Rifkin, schon für immer in den Geschichtsbüchern ablegen und durch „Zugang" (Access) ersetzen wollten. Fakt ist: Menschen mögen es nicht immer, wenn Besitz sich im Digitalen verflüchtigt. Rechte an materiellen Werten gehören in unserer Wirtschaft auch heute zum wirtschaftlichen Erfolg. Als symbolischer Wert zahlen sie auf das soziale Kapital eines Menschen ein. NFTs installieren den Authentizitätsnachweis digitaler Exemplare und ihren Besitz nun auch im digitalen Source Code unserer Gesellschaft.

Über die einzigartige, dezentrale und unveränderbare Registrierung auf der Blockchain durchkreuzen NFTs auch die institutionellen Mechanismen des Marktes. Vertrauen entsteht nicht durch die garantierende Institution, sondern eben dadurch, dass keine solche am Prozess beteiligt ist. Weil NFTs sich fraktionieren lassen, öffnen sie neue Möglichkeiten für gemeinschaftlichen Besitz und Crowdfinanzierung.

Inzwischen ist das Geschrei schon wieder groß, so vieles kann bei diesen NFTs doch schieflaufen. Das mag sein. Aber jede kreative Schöpfungsgeschichte produziert Sündenfälle und geht auch mit Zerstörung einher. Erst mal sollten wir nun in der Alltagserfahrung prüfen, was wirklich geht. Von den ersten 5000 Tagen der NFT-Zeit sind ja gerade mal ein paar rum.

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

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