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  • 25.05.2021
  • Fabian Kretschmer

Digitale Unikate an der Wand

Die weltweit erste Krypto-Kunstausstellung findet nicht zufällig in Peking statt. Der Hype um NFTs hat im chinesischen Markt eine regelrechte Euphorie ausgelöst – insbesondere bei milliardenschweren Spekulant:innen.

Was für eine Ironie des Schicksals: Um Einblicke in die digitale Zukunft der chinesischen Kunstwelt zu erhaschen, müssen Besucher:innen ausgerechnet in ein ehemals sozialistisches Industriegelände. Designt von Ostberliner Architekt:innen, wurden in der„798“-Künstlerkolumne einst Waffen für die Volksbefreiungsarmee hergestellt. Längst jedoch zählt das gentrifizierte Gelände im Nordosten Pekings mit seinen hippen Galerien und avantgardistischen Museen zum kommerziellen Epizentrum des chinesischen Kunstmarkts. Die rohen Bauhaus-Fassaden sind mit bunter Streetart verziert, und auch die Berliner Graffiti-Crew „1Up“ hat im „798“ bereits ihre Spuren hinterlassen.

Ausgerechnet hier also, im „UCCA Lab“, findet die weltweit erste Ausstellung ausschließlich für „Crypto-Art“ statt. Die Standortwahl ist kein Zufall, denn der chinesische Kunstmarkt scheint wie geschaffen für den neuen Trend. Nirgendwo sind die Sammler:innen eifriger auf der Suche nach neuen Spekulationsobjekten, um ihren rasant anwachsenden Wohlstand zu vermehren. Und Reichtum gibt es in kaum einer anderen Metropole in solch absurdem Übermaß wie in Peking: Im vergangenen Jahr hat die chinesische Hauptstadt den ersten Platz im Milliardärs-Ranking erklommen.

Spätestens seit dem 11. März ist digitale Kunst auch im Mainstream angelangt. Damals hatte der US-Amerikaner Mike Winkelmann – Künstlername „Beeple“ – sein Magnus Opum „Everydays: The first 5,000 Days“ im Auktionshaus Christie’s für spektakuläre 69,3 Millionen Dollar verkauft. Die Medien liebten die heldenhafte Geschichte des Informatikers aus Wisconsin, der nach 13-jähriger Arbeit an seiner Fotocollage über Nacht zum drittteuersten Künstler hinter Jeff Koons und David Hockney avancierte.

Impressionen von der NFT-Ausstellung „Virtual Niche – Have you ever seen memes in the mirror?” in Peking. Fotos: Fabian Kretschmer

Rückkehr zur Verknappung


Möglich wurde dies durch das Prinzip der „NFTs“ („Non-Fungible Tokens“). Mithilfe von Blockchain-Technologie können Kunstwerke zum Unikat werden. Wie der deutsche Philosoph Walter Benjamin in „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ die aufkommende Fotografie beschrieb, findet die digitale Kunst nun wieder zur Verknappung zurück. Musiker:innen können Originale ihrer Lieder sichern, Schriftsteller:innen ihre Buchmanuskripte.

Die Kuratorin Xiao Ge sieht in der Krypto-Kunst eine „demokratische Revolution“ entstehen: Mussten aufkommende Talente früher noch den Gang durch die Institutionen gehen, also von Galerist:innen vertreten werden und in Museen ausstellen, kann nun jede:r Künstler:in aus eigener Kraft Popularität aufbauen. Und das Wort Xiao Ges, der zierlichen 50-Jährigen, die sich in der Öffentlichkeit meist komplett in schwarz präsentiert, hat in China Gewicht: Zunächst machte sie sich als Malerin einen Namen, später als Kuratorin und zuletzt als Chefredakteurin einer der wichtigsten Kunst-Publikationen der Volksrepublik.

„Es braucht Zeit, bis die Leute das kapieren“, sagt Xiao Ge. Sie vergleicht die Bedeutung von NFTs für die Kunstwelt mit dem historischen Werk „Fountain“ von Marcel Duchamps: 1917 stellte der französisch-amerikanische Dadaist ein handelsübliches Urinal aus. Was zu seiner Zeit für Irritation sorgte, gilt heute als Geburtsstunde der Konzeptkunst: Dass sich jemand herausnimmt, Dinge von außen neu zu betrachten, ist bis heute revolutionär. Genauso wird auch „Crypto Art" einen Wendepunkt darstellen.

Krypto-Kunst als zwangsläufige Entwicklung


In der weltweit ersten Ausstellung digitaler Kunst lässt sich das Revolutionäre noch nicht feststellen. Eine verpixelte Videospiel-Ästhetik zieht sich wie ein roter Faden durch „Virtual Niche – Have you ever seen memes in the mirror?”; eine Mischung aus Star Wars und Super Mario, dazwischen etwas abstrakte Videokunst. Die Innenausleuchtung in schrillen Neonfarben soll der Szenerie etwas zu gewollt den Anschein von Futurismus verleihen. Die scheinbare Beliebigkeit der Kunstwerke könnte auch dem chinesischen Zensurapparat geschuldet sein. Das lokale Kulturbüro muss schließlich jede Ausstellung im Vorhinein genehmigen.

Kurator Sun Bohan – schwarzes Sakko, schwarze Gesichtsmaske – hält seine Ausstellung dennoch für einen Startschuss für die digitale Zukunft der Kunstwelt: „Kurzfristig mag Krypto-Kunst ein Hype sein, der sich daran zeigen wird, dass Künstler teure Preise erzielen. Langfristig jedoch wird sie zur zwangsläufigen Entwicklung“.

Thomas Eller sieht das deutlich skeptischer. Der deutsche Künstler und Kurator zog 2014 in die Hauptstadt Chinas. Den Hype um NFT und Digitalkunst betrachtet der 56-Jährige vor allem als „Top-Down-Entwicklung. Auch wenn der öffentliche Diskurs darüber genau das Gegenteil erzählen will“. Auf der Suche nach neuen Märkten seien die großen Auktionshäuser auf den Kryptomarkt aufmerksam geworden, der viel Geld und eine junge Klientel biete. Statt um eine „demokratische Revolution“ ginge es bei der Krypto-Kunst lediglich um die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Und auch wenn Eller keine Beweise dafür hat, hält er die Rekordauktion für Beeples „Everydays: The first 5,000 Days” vornehmlich für einen PR-Stunt.

In Pekings Kunstwelt verfangen solch mahnende Worte kaum. Die Galerist:innen stürzen sich regelrecht auf den NFT-Hype, und die Digitalkünstler:innen selbst erhoffen sich durch die technologische Blockchain-Grundlage – dezentral und verschlüsselt – auch einen Nischenraum frei von Zensur und Überwachung.

Fabian Kretschmer

Fabian Kretschmer arbeitet seit 2019 als China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Zuvor arbeitete er fünf Jahre als Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. In seiner Kolumne schreibt er einmal im Monat über ungewöhnliche Entdeckungen und überraschende Einblicke in die Tech-Welt Asiens.

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