Das Homeoffice revolutioniert die Arbeitswelt. Eine Rückkehr zur Vollzeitpräsenz wünscht sich kaum ein Unternehmen. Aber wie gelingt hybride Zusammenarbeit?
Jürgen Neumair war seiner Zeit voraus. Als der Chef des Aufzugbauers Butz & Neumair aus dem bayrischen Bergkirchen damit liebäugelte, seine Büro-Belegschaft ins Homeoffice zu schicken, hielt ein Großteil der deutschen Wirtschaft noch fest an der Präsenzkultur. Ganz behutsam begann Neumair im Herbst 2019 ein Konzept zu erarbeiten, wie er seine Mitarbeiter:innen von räumlichen Restriktionen befreien könnte, ohne die Unternehmenskultur zu gefährden. Der Vertrieb testete bereits die ersten Tage der neuen Arbeitsweise.
Doch dann beschleunigte die Realität Neumairs Gedankenspiel. Mit dem Ausbruch der Coronapandemie schickte er – wie viele andere Unternehmen – alle Büromitarbeiter:innen an die heimischen Schreib- und Küchentische. Der Abschied vom Büro fiel dem Team von Butz & Neumair leichter als vielen anderen Betrieben, hatte es sich doch schon mental aufs mobile Arbeiten eingelassen. Und siehe da: Es funktionierte.
Für Neumair ist heute klar: Die Büroräume werden auch in Zukunft nie wieder täglich bis auf den letzten Platz belegt sein – zumindest für einige Abteilungen. Nach der Pandemie wird es für sein Unternehmen kein Zurück zu alten Strukturen mehr geben. „An zwei oder drei Tagen in der Woche sollen unsere Büromitarbeiter künftig im Homeoffice arbeiten dürfen“, sagt er.
Was der Aufzughersteller gerade vorantreibt, avanciert in der gesamten Arbeitswelt zur neuen Normalität. Die Coronapandemie hat den Tod der Präsenzkultur eingeläutet. Die Zeiten, in denen Tausende Büromitarbeiter:innen tagein, tagaus stundenlang pendelten, um dicht an dicht auf Computer zu starren, sind vorbei. Stattdessen forciert die Mehrheit der Unternehmen einen Mix aus Büro- und Homeoffice-Tagen – hybrides Arbeiten also. Und das, obwohl die fortschreitende Impfkampagne eine Rückkehr zur Vollzeitpräsenz in der zweiten Jahreshälfte ermöglichen würde.
Eine neue Arbeitskultur
Doch das hybride Arbeiten erfordert auch neue Strukturen. In Corona-Zeiten sitzt nahezu die komplette Belegschaft im Homeoffice, Videokonferenzen ersetzen persönliche Gespräche. Wenn aber bald Teile des Teams im Büro arbeiten, während andere remote tätig sind, stellen sich ganz neue Fragen der Arbeitsaufteilung und Kommunikation. Provoziert die neue Arbeitswelt eine Homeoffice-Anarchie, in der jede:r nur dann ins Büro kommt, wenn sich der häusliche Kaffeebestand dem Ende nähert? Oder werden all die Tools, die die Zusammenarbeit in der Pandemie überhaupt erst ermöglicht haben, im digitalen Papierkorb verenden, wenn die Büros nicht mehr gänzlich verwaist sind?
Mit all diesen Fragen beschäftigt sich Teresa Hertwig. Ihr Terminkalender ist seit der Coronapandemie noch praller gefüllt als ohnehin schon. Sie leitet die Unternehmensberatung GetRemote und hilft Unternehmen, mobiles Arbeiten in ihrer Kultur zu implementieren. Für die Gründerin ist klar: Jetzt müssten Strukturen geschaffen werden, um nach der Pandemie mit einem hybriden Modell durchstarten zu können.
Es mag überraschen, dass ausgerechnet die Homeoffice-Enthusiastin den Unternehmen rät, langsam mit dem hybriden Arbeiten zu beginnen. Schwankt ein Unternehmen zum Beispiel zwischen zwei oder drei Homeoffice-Tagen für die Belegschaft, empfiehlt Hertwig erstere Variante. Psychologisch sei es nämlich einfacher, die Homeoffice-Möglichkeiten auszuweiten als Freiheiten wegzunehmen, sollten sich diese in der Praxis doch als unpraktikabel erweisen.
Auch in der flexiblen, freien Arbeitswelt des Homeoffice klappt nichts ohne Regeln. Wenn jede:r Mitarbeiter:in nach Tageslaune entscheidet, wann er/sie im Büro arbeitet, könne das letztlich das Teamgefüge zerstören. „Eine Unternehmenskultur entwickelt sich nicht durch Zufall,“ sagt Hertwig. Für den sozialen Zusammenhalt, sagt sie, sei es wichtig, dass das Team gelegentlich auch physisch gemeinsam vor Ort ist. Kreatives Brainstorming, aber auch private Plaudereien fänden so auf einer viel intimeren Ebene statt als in Zoom-Sessions.
Hertwig präferiert daher feste Präsenztage für die einzelnen Abteilungen – so wie es auch Aufzughersteller Jürgen Neumair plant. „Der digitale Kaffeeklatsch kann das reale Treffen nicht komplett ersetzen“, sagt er. „Und gerade in den Teams ist es wichtig, dass sie nicht bloß Dienst nach Vorschrift machen.“
Der überwiegende Teil der Arbeitgeber – auch alle Dax-Konzerne – sieht das genauso. Laut dem Personaldienstleister Robert Half forcieren 86 Prozent der Unternehmen einen Mix aus mobiler Arbeit und Bürotagen.
Aus gutem Grund: Denn ohne feste Teamtage könnte sich in den Unternehmen eine Zwei-Klassen-Belegschaft etablieren – auf Kosten des Betriebsklimas, warnt Expertin Hertwig. Die Homeoffice-Fraktion drohe ins digitale Nirwana gedrängt zu werden, wenn Teile des Teams im Konferenzraum angeregt diskutieren. Daher gilt, so Hertwig: „Alle Teammitglieder sollten die gleichen Voraussetzungen haben. Ist auch nur ein Mitarbeiter im Homeoffice, sollten alle mit ihrem eigenen Laptop an der Videokonferenz teilnehmen, um kein Kommunikationsungleichgewicht zu haben.“
Klare Regeln schaffen
Doch genau da lauert die nächste Falle, auf die Hertwig die Unternehmen aufmerksam macht. Seit dem Umzug ins Homeoffice wich der kurze Zuruf digitalen Tools. Das Problem: Viele Firmen haben ein undurchsichtiges Tool-Arsenal geschaffen. Auf Betriebsrechnern ploppen Slack-Nachrichten auf, Videoanrufe gehen je nach Belieben des Abteilungsleiters über Teams, Zoom oder Skype ein. Und wieder andere klären noch immer jede Kleinigkeit via E-Mail oder nutzen je nach Tageslaune ein anderes Programm.
Dieses Sammelsurium an digitalen Tools schaffe nur Verwirrung – und führe letztlich zu unnötigen Ineffizienzen, so Hertwig. Die Homeoffice-Beraterin plädiert deshalb für klare Übereinkünfte, welches Tool im Unternehmen wofür benutzt wird – und würde die E-Mail für den internen Austausch am liebsten verbannen. Sie eigne sich weder für schnelle Information, noch für übersichtliche Kommunikation mit mehreren Teammitgliedern. E-Mails sollten daher nur noch für externe Kontakte verwendet werden.
Hertwigs Grundregel für gelungene Kommunikation im Job: Es müsse klar zwischen Informations- und Aufgabentools unterschieden werden. Eine To-Do-Liste gehe in der Nachrichtenflut der Team-Messenger nämlich schnell unter – sie rät deshalb zu Tools wie Trello oder awork.io. Für welche Tool-Konstellation sich ein Unternehmen letztlich entscheide, sei zweitranging, meint die Homeoffice-Expertin. „Wichtig ist, dass sich alle Mitarbeiter daran halten“, so Hertwig.
Und das funktioniert nur, wenn die Führungskraft den Wandel ernstnimmt. Sie muss die Mitarbeiter:innen dafür sensibilisieren, die Regeln einzuhalten. „Führungskräfte sollten in Zukunft weniger im operativen Geschäft eingebunden sein, sondern eben die Teamführung in den Fokus stellen,“ sagt Hertwig.
Will die Wirtschaft die Errungenschaften des vergangenen Jahres nicht gefährden, muss sie ihre Strukturen optimieren. Bei Butz & Naumair sieht man sich indes gut gerüstet. Mittlerweile nutzen sogar die Konstruktionsmitarbeiter:innen Microsoft Teams. „Die Verbindung zwischen den einzelnen Abteilungen ist heute viel stärker als noch vor einigen Jahren“, so Naumair. „Wenn schon für nichts anderes, dann war Corona immerhin dafür gut.“
Titelbild: Shridhar Gupta/Unsplash