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  • 13.05.2021
  • Michael Schlegel

Die Zukunft (f)liegt über uns

Digitale Innovationen beflügeln die Space-Industrie. Nie war es einfacher, Satelliten in den Erdorbit zu schießen. Der Wettlauf um die erste Reihe im Weltall ist eröffnet.

Von der Nordsee aus könnte Deutschland bald zu neuen Ufern aufbrechen. Nicht nach Westen und nicht nach Norden. Sondern nach oben. Eine Allianz deutscher Unternehmen möchte dort, im nordwestlichen Zipfel des Landes, einen Weltraumbahnhof errichten.

Deutschland will ins All. Denn mithilfe digitaler Produktionsprozesse können die Unternehmen kleine Satelliten inzwischen nicht nur relativ günstig und in großer Stückzahl herstellen, sondern auch ins All schießen.

Sogar die dafür nötigen Raketen könnten dann aus der Bundesrepublik kommen: Isar Aerospace arbeitet in der Nähe von München an einer Trägerrakete mit dem Namen Spectrum. Auch HyImpulse aus der Nähe von Heilbronn und die OHB-Tochter Rocket Factory Augsburg arbeiten an Trägerraketen.

Das alles ist Teil des großen Wettlaufs der Welt in das All. Die Raumfahrt erlebt derzeit eine Renaissance. 2018, 2019 und 2020 schossen staatliche und private Weltraumfahrer weltweit jeweils mehr als 100 Raketen in oder über den Orbit hinaus – eine Marke, die zuletzt 1990 erreicht wurde.

Und der Raumfahrtsektor ist fragmentiert wie nie: in unterschiedliche staatliche Akteure wie Indien, Japan, Brasilien oder einige arabische Staaten; vor allem aber in die zunehmend unübersichtlicher werdende Vielfalt privater Unternehmen, die derzeit den Weltraum aufmischen.

Zwischen 2015 und 2019 flossen allein in den USA 16,8 Milliarden Dollar in Raumfahrtunternehmen, während es zwischen 2010 und 2014 3,3 Milliarden waren. Ganz vorn mit dabei ist Elon Musk, der reichste Mensch der Welt, mit seinem Unternehmen SpaceX. Auch Jeff Bezos, zweitreichster Mensch der Welt, hat sein eigenes Raumfahrtunternehmen namens Blue Origin. Doch welchen Mehrwert wird die Raumfahrt der Zukunft für die Menschheit bringen?

Das Internet aus dem Orbit


Beschäftigt man sich mit privatwirtschaftlichen Projekten im Weltraum, kommt man nicht an Elon Musks Starlink vorbei. Ein gigantisches Unterfangen, das die ganze Menschheit mit dem Internet verbinden soll. Geplant ist, innerhalb der nächsten Jahrzehnte ausgehend von den derzeit 900 weitere 42.000 Satelliten in den Orbit zu schießen. Das wären 15 Mal so viele, wie jetzt schon um die Erde kreisen. Auch andere Akteur:innen, unter ihnen Jeff Bezos mit seinem „Project Kuiper“, wollen ähnliche Konstellationen in den Orbit schießen.

Starlink ist jedoch mit Abstand das umfangreichste Internetsatelliten-Konzept. Die nicht ganz  unumstrittene Einschätzung der deutschen Forschungsministerin Anja Karliczek, wonach „5G nicht an jeder Milchkanne notwendig“ sei, wird so noch ein weiteres Mal ad absurdum geführt. Denn Satelliten im niedrigen Erdorbit könnten tatsächlich global und flächendeckend schnelles  Breitbandinternet liefern und somit die Digitalisierung auf eine neue Stufe heben.

Gesellschaftlich und wirtschaftlich könnte die Idee des schnellen Internets aus dem Erdorbit von Starlink allerdings einen Haken haben. Michael Lauster, Sprecher der Fraunhofer Space Alliance und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen in Euskirchen, sieht eine Gefahr darin, dass sich zu viel Macht in der Hand eines Unternehmens konzentriert: „Werden wir uns von einem Monopol abhängig machen? Oder behalten wir uns die Alternativen bei, sodass wir die Vorteile nutzen können, die so ein System wie Starlink bietet, aber gleichzeitig noch Notfalloptionen haben, also zum Beispiel terrestrisch ein leistungsfähiges Glasfasernetz?“

Dass private Unternehmen so viele Satelliten ins All schießen können, liegt an einer Entwicklung, die sich „New Space“ nennt. Das ist ein Überbegriff für alle Möglichkeiten, welche die Digitalisierung der Raumfahrt eröffnet. Einige Beispiele: Digitalisierte Baupläne und Modelle erleichtern Ingenieur*innen die Entwicklung. Auch nachträgliche Verbesserungen werden digital einfacher: „Mit einem digitalen Zwilling ihres Produkts können sie im Laufe der Produktion sehr viel einfacher feststellen, dass etwas verändert werden muss, und Modifikationen einführen“, erklärt Michael Lauster. Automatisierte Verfahren ermöglichen dann eine Massenproduktion.

Schon während sie im Orbit sind, können Funktionalitäten von Satelliten durch Softwareupdates angepasst werden. Sogar Reparaturen im Weltraum mithilfe von 3D-Druck durch ein anderes Raumfahrzeug sind so in den Bereich des Möglichen gerückt.

Und so vielfältig wie die extraterrestrischen Möglichkeiten durch terrestrische Erfindungen werden, so vielfältig werden die irdischen Anwendungsbeispiele, sollte der Eroberungszug ins Überirdische Erfolg haben. Denn weltweite Verbindungen über Satelliteninternet würden nicht nur dazu führen, dass jede:r eine schnelle Internetanbindung haben könnte, sondern auch digitale Innovationen vorantreiben.

„Autonomes Fahren zum Beispiel ist mit heutiger Technologie nur mithilfe von orbitalen Infrastrukturen möglich“, sagt Michael Lauster. Auch anderweitig würde die Idee des „Internets der Dinge“ profitieren. Denn dafür braucht man eine lückenlose Netzabdeckung.

Der Staat als Treiber


Obwohl die Privatisierung der Raumfahrt voranschreitet, sind die staatlichen Raumfahrtagenturen immer noch gewichtige Akteure. SpaceX wäre heute nicht so groß ohne milliardenschwere Aufträge der US-Weltraumagentur Nasa. Das NasaÄquivalent jenseits des Atlantiks, die Europäische Weltraumorganisation (Esa), hatte 2020 ein Budget von 6,7 Milliarden Euro. Als Kunde kauft die Esa Dienstleistungen von Privatunternehmen.

Ariane, die Trägerrakete der Esa, entsteht beispielsweise bei einer Tochterfirma von Airbus. Zudem unterstützt die Esa private Unternehmen als „Enabler“: „Start-ups können von uns Wissen  bekommen und unsere Einrichtungen mitbenutzen“, sagt Jan Wörner, demnächst scheidender Generaldirektor der Esa.

Die Esa hat im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro an die Industrie vergeben, dieses Jahr sollen es 1,6 Milliarden Euro werden. Dazu gehören Projekte wie die Asteroidenmission Hera, für die das Raumfahrtunternehmen OHB aus Bremen als Hauptauftragnehmer die Sonde baut. Sie soll 2024 starten und messen, inwiefern der Einschlag einer Nasa-Sonde Auswirkungen auf einen Asteroiden gehabt hat.

Obwohl Wörner einen Trend hin zur Privatisierung der Raumfahrt sieht, sagt er: „Was auf jeden Fall bei den öffentlichen Einrichtungen bleibt, ist alles, was mit Exploration und Wissenschaft zusammenhängt. Weil da kein Markt dahintersteckt. Und die Bereiche der Navigation, der Telekommunikation und der Erdbeobachtung, die den Sicherheitsbereich angehen.“

Léa Steinacker und Milena Merten sprechen im ada-Podcast über die zunehmende Kommerzialisierung des Weltalls.

Neue Regeln im Weltraum


Der Weltraum wird nicht nur kommerzialisiert, sondern auch militarisiert. So rief Donald Trump eine „Space Force“ ins Leben, eine Raumfahrtabteilung des US-Militärs. Auch die Nato richtete 2020 ein Weltraumzentrum ein. Und Russland soll letztes Jahr im Erdorbit eine Waffe getestet haben, die Satelliten abschießen könnte.

Esa-Mann Wörner sagt: „Krieg der Sterne mag ein interessanter Fernsehfilm sein, aber wir haben genug Probleme auf der Erde, wir sollten sie nicht noch in den Weltraum transportieren.“ Ohnehin ist in der Esa-Konvention festgelegt, dass die Agentur nur für friedliche Zwecke eingerichtet wurde. Damit von vornherein unterbunden werden kann, dass Satelliten abgeschossen werden, meint Wörner: „Wir brauchen klare Regelungen.“

Das sieht auch Niklas Nienaß so. Der 28-Jährige ist Abgeordneter im Europäischen Parlament für die Grünen und beschäftigt sich als solcher mit Weltraumpolitik und Weltraumrecht. Angesichts rasanter Entwicklungen in der Raumfahrt erfüllt ihn der Zustand des Weltraumrechts mit Sorge.

„Es gilt der Weltraumvertrag aus dem Jahr 1967“,sagt Nienaß. „Auf heutige Möglichkeiten der Kommerzialisierung und auch Militarisierung der Raumfahrt ist er nicht vorbereitet.“ Nun brauche es ein Update.

Für notwendig hält Nienaß etwa internationale Bestimmungen über die Beseitigung von Weltraumschrott. Auch müsse allgemein verbindlich geregelt werden, wer wie viele Satelliten in welche Umlaufbahn schießen darf: „Es wird voller im Orbit“, sagt Nienaß. „Wenn Firmen wie SpaceX jetzt ankündigen, 40.000 Satelliten hochzuschießen, brauchen wir klare Regeln, um Konflikte zu vermeiden.“

Die Rettung aus dem All?


Immerhin könnte die Satelliten-Flut helfen, die Klimakrise besser zu händeln. „In Zukunft könnten Erdbeobachtungsdaten in Kombination mit Machine-Learning dabei helfen, Naturkatastrophen besser vorherzusagen“, sagt Nienaß. Während also die einen sich wünschen, dass die Raumfahrt zur Rettung des Planeten beiträgt, planen andere die Flucht auf einen anderen. Elon Musk sagt, er wolle die Menschheit zu einer „multiplanetaren Spezies“ machen und mit SpaceX auf den Mars aussiedeln. 

Das Geld für die Entwicklung der Technologie sollen die Internetdienstleistungen von Starlink  einspielen. Ist das realistisch? „Man muss sich die Entfernung schon klarmachen: Wir reden, wenn wir zum Mond fliegen, von einer Entfernung von etwa 400.000 Kilometern. Zum Mars sind das zwei Zehnerpotenzen mehr. Das ist richtig weit weg“, sagt Jan Wörner.

Andere Unternehmen wollen unterdessen den Weltraum innerhalb der Erdatmosphäre für einen größeren Anteil der Erdbevölkerung zugänglich machen. Virgin Galactic arbeitet schon seit vielen Jahren daran, den Weltraumtourismus massentauglicher zu machen. Bigelow Aerospace aus Las Vegas plant gar, ein Weltraumhotel an die Internationale Raumstation (ISS) anzubauen.

Aber ob das gleich dazu führt, dass der Menschheit mehrere Planeten zur Verfügung stehen? Von einem deutschen Weltraumbahnhof, den sie in der Nordsee planen, jedenfalls würden Raketen nicht zum Mars fliegen, sondern Satelliten in die Umlaufbahn bringen. Das ist nicht das höchste aller Ziele. Dafür scheint es aber erreichbar.

Titelbild: Getty Images

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