Klimakrise, Pandemie und drohende Cyberkriege machen deutlich: Unsere Welt erlebt derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Die Wirtschaft muss sich daran anpassen.
Vorbei ist es mit Chefs der alten Schule, reiner Profitorientierung, Befehls- und Kontrollsystemen, Schwarzweißdenken, Win-Win, Daten- und Optimierungswahn, Übereffizienz und Reduktion, rohstoffintensiven Geschäftsmodellen und bodenlosem exponentiellem Wachstum.
Im Fokus stehen heute vielmehr Menschen, unser Planet, Sinnhaftigkeit, regenerative und zirkuläre Geschäftsmodelle, Dezentralisierung, Gleichberechtigung, fließende Identitäten, vielfältige und integrative Arbeitsplätze, sowie sensible und bewusste Führung.
Wir streben damit eine Wirtschaft an, die uns nicht auf Produktivität und Effizienz, auf Zahlen und Fakten, auf Shareholder Value und Gewinne reduziert. Wir möchten Arbeit, die eine Bedeutung hat, die Sinn stiftet und Sinn ergibt, die etwas hervorbringt und sich regeneriert. Eine Aufgabe, die immer unvollendet ist. Ein Geschäftsmodell, das nicht größer, sondern weiter, umfassender, tiefer ist. Eine Tätigkeit, die uns mit unserem Herzen, unserem Geist und unserem Körper verbindet. Mit der Natur. Eine Arbeit, die mit der Natur harmoniert – die Natur ist.
Das neue metaphysische Paradigma
Klingt abstrakt? Nun, das ist es auch, zugleich aber auch nicht. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass das, was gestern noch unvorstellbar war, morgen schon zum Mainstream gehören wird – und deshalb schon heute höchst relevant ist. So unvorstellbar und abstrakt die Dimension des Metaphysischen nach heutigen Maßstäben klingen mag, für die Zukunft des Wirtschaftens und der Arbeit kann ein metaphysischer Blick äußerst wertvoll sein. Schauen wir uns also die vier Hauptmerkmale der metaphysischen Wirtschaft an.
Noch klingt Metaphysik mehr nach Magie als nach unserer tatsächlichen Arbeits- und Lebensrealität. (Foto: Karly Santiago/Unsplash)
1. Meta, wie in „Metaverse“
Ja, dieses Mal ist es real. In der Schnittmenge aus Fortschritten bei der Rechenleistung, kommerziellen Interessen, Science-Fiction-Romantik und selbst erfüllender Prophezeiung ist das Metaversum zuletzt mit voller Wucht auf der Bildfläche erschienen.
Aber das kollektive Eintauchen in virtuelle Welten, die „große Immersion“, bringt auch eine große Verantwortung mit sich. Das gilt unabhängig davon, ob man die künftig mögliche, virtuelle Vorherrschaft befürwortet oder nicht. In seinem neuen Buch „Reality X: Virtual Worlds and the Problems of Philosophy“ argumentiert der australische Philosoph David J. Chalmers, dass virtuelle Welten mit der zunehmend unattraktiven physischen Realität konkurrieren und sie schließlich übertreffen werden. Folgt man diesem Gedanken, wird deutlich, wie wichtig es ist, ein künftiges Metaversum lebenswert zu gestalten. Andernfalls wird dieses Metaversum nämlich nicht mehr als ein gigantisches Einkaufszentrum.
Der Risikokapitalgeber Marc Andreesen geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert einen neuen moralischen Imperativ: „Die große Mehrheit der Menschheit ist in der realen Welt nicht außerordentlich privilegiert – ihre Online-Welt ist oder wird unermesslich reicher und erfüllender sein. (....) Die Realität hatte 5.000 Jahre Zeit, um gut zu werden und ist für die meisten Menschen offensichtlich immer noch erbärmlich unzureichend. (…) Wir sollten Online-Welten schaffen – und das tun wir auch –, die das Leben, die Arbeit und die Liebe für alle Menschen zu etwas Wunderbarem machen, unabhängig vom Grad des Realitätsverlustes, in dem sie sich befinden.“
Wir sollten uns also fragen, was wir und unsere Organisationen tun können, um nicht nur die virtuelle Welt an sich, sondern auch die reale Welt besser zu machen. Wie kann das Metaversum zu einer Lernumgebung werden, in der radikal, tiefgründig und wahrheitsgetreu erforscht und experimentiert wird, wie es in der realen Welt nicht möglich ist? „Was wäre, wenn die virtuellen Realitäten, die wir geschaffen haben, uns nicht zum Bleiben bewegen, sondern uns dazu inspirieren würden, zurückzukommen und eine bessere reale Welt zu schaffen?“, fragt daran anknüpfend Shannon Mullen O'Keefe, Gründerin des Museum of Ideas. „Was wäre, wenn wir unsere Welt so besuchen würden, wie sie sein könnte, wenn wir uns um sie kümmern würden?“
2. Metaphysisch bedeutet physisch
Wir werden unsere Präsenz in der virtuellen Welt ausgleichen müssen, indem wir uns unseres (physischen) Körpers bewusster werden. Meta sana in corpore sano. Nach der Rastlosigkeit des vergangenen Jahrzehnts und dem Streben danach, ultra-effiziente, Fitness-Tracker-optimierte, Soylent-trinkende Maschinen zu werden, hat uns die Pandemie daran erinnert, dass wir alle sterblich sind. Unsere vernachlässigten Körper schreien nach Aufmerksamkeit – nach besserem Schlaf, nach Bewegung, nach einer Rückbesinnung auf alte Weisheiten, die uns mitteilen, was wir zur Regeneration brauchen.
Am Arbeitsplatz beginnt das damit, dass wir uns wieder eingestehen, dass die „körperlosen Körper“, die wir an den Arbeitsplatz mitbringen, uns schon zu lange zu viel von unserem Wissen vorenthalten haben. Wir bringen bessere Leistungen, treffen bessere Entscheidungen, sind glücklicher und erfüllter bei der Arbeit, wenn wir mit unserem ganzen Körper physisch präsent sind. Als Führungskräfte werden wir nur dann lebendig und inspirieren andere dazu, lebendig zu werden, wenn wir meinen, was wir sagen – oder anders gesagt: Wenn wir das verkörpern, woran wir glauben.
3. Metaphysisch bedeutet natürlich
Die Körperlichkeit („physicality“) von Arbeit impliziert eine bescheidenere Vorstellung von unserer Beziehung zur Natur. Um ihr gerecht zu werden, brauchen wir Organisationen, die so komplex sind wie die Natur selbst – Organisationen, die naturähnlich sind.
Solche naturnahen Organisationen gestalten gemeinsam mit der Natur, jenseits von Bionik, Biomimikry und synthetischer Biologie, sondern mit organischen Geschäftsmodellen und Organisationsformen. Dafür müssen sie nicht nur ökologisch denken, sondern zu Ökologien werden – mit Saisonalität, Zirkularität und Fluidität als ihre Kern-DNA, wodurch sie widerstandsfähiger gegenüber sich ständig verändernden Umgebungen werden.
4. Metaphysisch bedeutet spirituell
Metaphysisches Wirtschaften bedeutet, über das Menschenzentrierte hinauszugehen. Es berücksichtigt damit unser spirituelles Selbst und verbindet uns mit etwas, das größer ist als wir selbst. So schätzt es das Unterbewusstsein und strebt ein höheres Bewusstsein an. Metaphysisches Wirtschaften spielt mit dem Psychedelischen und verschränkt sich mit dem Quantendenken.
Neben der Theorie der vielen Welten haben Quantenwissenschaftler:innen wie Erwin Schrödinger (ja, der mit der Katze!) die Welt als eine Überlagerung von Zuständen erforscht – ein Multiversum, das aus einer Überlagerung von Universen besteht.
Metaphysisches Wirtschaften ist sich dieser vielen Welten und Modalitäten bewusst und verändert ständig seine Gestalt. Es ist ein Wirtschaften, das seine Dämonen kennt und sich nicht scheut, seine Engel zu rufen, wenn es sie braucht. Die Zukunft wird viel virtueller, physischer, natürlicher und spiritueller sein. Um in ihr zu gedeihen, muss die Wirtschaft metaphysisch werden.
Titelbild: Robert Katzki/Unsplash