Die Coronapandemie bereitet vielen Menschen schlaflose Nächte. Lässt sich die Nachtruhe mit digitalen Hilfsmitteln verbessern?
Sieben Uhr, mein Wecker beginnt leise zu klimpern. Ich fühle mich, als sei ich gerade erst eingeschlafen. Meine Hand greift nach dem Smartphone neben meinem Kopfkissen. Mein heutiger Schlafindex beträgt 63 Prozent, meldet die App „Oura“. Ich habe demnach zwar sechs Stunden und 56 Minuten geschlafen, davon aber nur 50 Minuten im besonders erholsamen Tiefschlaf. Die Kategorie „Restfulness“ ist rot markiert. „Pay Attention“, warnt die App.
Ich schlafe schlecht, schon eine ganze Weile, seit der Coronapandemie und der damit verbundenen Isolation sowieso. Nachts liege ich lange wach, tagsüber fühle ich mich unkonzentriert und müde. Und damit bin ich nicht allein.
Laut DAK-Gesundheitsreport haben 80 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen. Jeder Zehnte leidet sogar unter schweren Schlafstörungen. Die andauernde Krise macht es nicht besser: Sorgen um die eigene Gesundheit oder die der Liebsten, Angst vor dem Jobverlust, Einsamkeit, Bewegungsmangel, Stress – all das sind die perfekten Zutaten für das, was ich „Coronasomnie“ nenne: nächtliches Grübeln, leichterer Schlaf, häufiges Aufwachen oder intensive Albträume.
Wenn wir tagsüber gestresst sind, verharrt der Körper auch nachts in Habachtstellung. Dabei braucht das Hirn den Schlaf, um aufzuräumen. Neue Informationen und Erkenntnisse, die wir tagsüber aufnehmen, werden nachts sortiert und neu geordnet, damit sie anschließend schneller abrufbar sind. Guter Schlaf ist wichtig für Immunsystem, Regeneration und Langlebigkeit. Galt es früher als schick, Schlaf zu minimieren, ist seine Maximierung mittlerweile ein Statussymbol, seine Optimierung Ziel all jener, die ihr Potenzial voll ausschöpfen und tagsüber produktiv und leistungsfähig sein wollen.
Genau da setzt die Techindustrie an und bringt immer mehr Produkte auf den Markt, die beim Ein- und Durchschlafen helfen sollen. Stirnbänder, die Hirnwellen messen; Bettdecken, die automatisch die Temperatur regulieren; Schlafroboter zum Umarmen und Festhalten und natürlich Fitnesstracker mit Schlafprogrammen. Dem Marktforscher Global Market Insights zufolge soll der weltweite Umsatz mit Sleep-Tech-Geräten bis 2025 auf 27 Milliarden Dollar wachsen.
Vielleicht können technische Hilfsmittel meine Schlafprobleme beheben? Ich will es ausprobieren und beginne mit der simpelsten Form des Schlaftrackings: einer App fürs Smartphone. „Pillow ist dein smarter Schlafassistent“, verspricht der Hersteller, ein Start-up namens Neybox Digital mit Sitz in Athen.
„Pillow“ belauscht Nutzer:innen beim Schlummern, um nächtliches Schnarchen, Atemstörungen oder Sprechen zu dokumentieren und daraus Empfehlungen für besseren Schlaf abzuleiten. Idealerweise solle man Pillow mit einer Smartwatch koppeln, um zusätzlich die Herzfrequenz zu messen, heißt es im App Store, aber es sei auch möglich, einfach das Smartphone neben das Kopfkissen zu legen.
Da ich keine Smartwatch besitze, platziere ich mein Telefon nachts auf Kopfhöhe. Einige Zentimeter tiefer, ungefähr auf Brusthöhe unter meine Matratze, lege ich eine Sensormatte des französischen Herstellers Withings. Die Matte namens Sleep verspricht, mithilfe „umfassender Schlafzyklus-Analysen, Herzfrequenz-Tracking und Schnarch-Erkennung“ meinen Schlaf zu verbessern.
Zuletzt lege ich einen Ring an. Der Oura Ring des gleichnamigen finnischen Start-ups ist zum Kultobjekt avanciert, seit Twitter-Gründer Jack Dorsey, Salesforce-Chef Marc Benioff und Prinz Harry damit gesichtet wurden. „Nutze dein Potenzial“, prangt auf der Website, auf dem schwarzen Hintergrund ist der schlichte Titanring zu sehen, an dessen Innenseite Infrarotsensoren angebracht sind. Sie messen Puls, Körpertemperatur und Bewegungen im Schlaf und ermitteln daraus einen täglichen Schlaf- und „Readiness“-Score.
Feedback zum Frühstück
Ausgestattet mit Matte, Smartphone und Ring ist mein Bett nun rundum verwanzt, jede nächtliche Bewegung, jedes Seufzen und Husten wird registriert, analysiert und kategorisiert. Drei Wochen lang läuft mein Experiment. Die Rahmenbedingungen sind gut: Mein Schlaf wird weder durch schreiende Babys noch bellende Haustiere, Straßenlärm oder helles Licht gestört. Eine fast schlaflabortaugliche Umgebung – abgesehen davon, dass ich mir das Bett mit meinem Partner teile.
Beim Frühstück prüfe ich meine Werte, die aufs Smartphone übertragen werden. Alle drei Apps bieten einen grafischen Überblick: Leichtschlaf, Tiefschlaf und REM-Schlaf. REM steht für „Rapid Eye Movement“ und ist die Phase, in der wir träumen. Streng genommen lassen sich diese Phasen nur mit einem Elektroenzephalografen (EEG) einigermaßen zuverlässig messen. Dabei werden Patient:innen Elektroden am Kopf angebracht, die die Aktivität der Nervenzellen, die Augenbewegungen und die Muskelspannung erfassen.
Die technischen Hilfsmittel, die ich teste, können die verschiedenen Schlafstadien nur schätzen – auf Basis von Signalen: Wenn die Atmung langsamer wird, die Muskeln sich entspannen oder zucken, die Körpertemperatur und die Herzfrequenz sinken, gleiten wir vom Wachzustand in den Leichtschlaf. Im Tiefschlaf sinkt der Blutdruck, wir atmen noch langsamer und bewegen uns kaum. Im REM-Schlaf erschlafft die Muskulatur komplett – damit wir unsere Träume nicht ausleben, vermuten Forscher:innen –, nur die Augen zucken unter den Lidern hin und her. Außerdem steigen Blutdruck, Atem- und Herzfrequenz.
Die Apps analysieren einige Tage lang, wann ich zu Bett gehe und aufstehe. Daraus errechnen sie meine optimale Einschlafzeit: zwischen 22.45 Uhr und 23.45 Uhr. Zwei Stunden vor diesem Zeitraum erinnert die Oura-App via Push-Nachricht, mich langsam aufs Zubettgehen vorzubereiten: Bildschirme meiden, Körper und Geist herunterfahren, auf beruhigende Tätigkeiten konzentrieren.
Die Aufforderung, Bildschirme zu meiden, steht jedoch diametral zu der Erfordernis, mein Smartphone zur Nutzung der Pillow-App mit ins Bett zu nehmen. Wenn es einmal dort liegt, nutze ich es selbstverständlich auch, um noch schnell eine WhatsApp-Nachricht zu lesen oder den Lieblingssong einzuschalten. Die App verführt mich außerdem dazu, das Smartphone gleich morgens als Erstes in die Hand zu nehmen, meine Schlafwerte anzusehen und die in der Nacht aufgenommenen Geräusche anzuhören. Es ist eine skurrile Erfahrung, sich selbst im Schlaf seufzen oder lachen zu hören und ein zunehmend beklemmendes Gefühl, die ganze Nacht über belauscht zu werden. Bereits nach einer Woche verbanne ich das Telefon und damit Pillow kurzerhand aus dem Bett. Es schläft fortan im Wohnzimmer.
Lässt sich Schlaf hacken? Darüber sprechen Milena Merten und Leonie Tabea Natzel im ada-Podcast.
Schlaf in Zahlen
Damit verschwindet auch die einzige App, die mir gute Tiefschlafwerte bescheinigt – was damit zusammenhängen dürfte, dass das Smartphone mein Verhalten mangels Körperkontakts nur vom Hörensagen beurteilen kann. Die anderen beiden Apps sind sich einig darin, dass meine Tiefschlafwerte nicht ideal sind. Die entsprechende Kategorie ist jeweils rot markiert. Die Sensormatte meldet, beinahe vorwurfsvoll, ich habe mich in dieser Nacht nur zu 42 Prozent erholt.
Jede App ermittelt einen täglichen Schlafindex, der sich aus unterschiedlichen Kriterien und Gewichtungen zusammensetzt. Die Werte sind also nicht miteinander vergleichbar. Bescheinigt mir meine Sensormatte mit einem Sleep Score von 83 eine erholsame Nacht, weist der Oura-Ring für die gleiche Nacht einen Indexwert von 63 aus, und rät mir, auf mich achtzugeben.
Indem ich die Apps nutze, erwerbe ich allerlei statistisches Wissen. Etwa: Wer innerhalb von fünf Minuten nach dem Hinlegen einschläft, war bereits zu müde. 15 bis 20 Minuten Einschlafzeit sind die Norm, so heißt es bei Oura. Wer weniger als zwei Mal pro Nacht wach wird, hat eine um 21 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für ein gesteigertes Aktivitätsniveau am Tag, erläutert Withings. Und dann wäre da noch die „Schlafeffizienz“, die ausdrückt, wie viel der im Bett verbrachten Zeit ich tatsächlich geschlafen habe. Wer hier 85 Prozent oder mehr erzielt, dem weist Oura eine effizient genutzte Nacht aus.
Mir schwirrt der Kopf. Plötzlich erscheint mir Schlaf nicht mehr als natürlicher Vorgang, den mein Körper automatisiert durchspielt, sondern als komplexes Unterfangen, für dessen Vorbereitung und Vollzug es verschiedene Faktoren zu beachten gilt. Lässt sich Schlaf durch gezieltes Training optimieren?
Eben das versprechen Hersteller smarter Stirnbänder, etwa Philips oder das französische Startup Urgotech. Ihre tragbaren Sensorstirnbänder sollen Hirnwellen messen können. Philips verspricht, die Sensoren seien in der Lage, die Tiefschlafphase zu erkennen und durch sanfte Töne zu stimulieren. Urgotech wiederum will mit seinem Kopfband eine „Neurofeedback Therapie“ ermöglichen: durch gezielte Übungen lasse sich das Gehirn darauf trainieren, ebenjene Wellen zu erzeugen, die zum Einschlafen benötigt werden.
Ich will die Meinung eines Experten hören und rufe Albrecht Vorster an. Der Biologe und Philosoph forscht am Institut für Medizinische Psychologie der Uni Tübingen zum Einfluss des Schlafs auf die Gedächtnisbildung. „Kein kommerziell erhältliches EEG-Stirnband kann nachweislich den Schlaf verbessern“, sagt er. Die Studienlage liefere kein klares Ergebnis und wenn es einen Effekt auf die Schlafqualität gebe, dann sei er sehr klein. Zum Neurofeedback-Training von Urgotech gebe es noch keine öffentlich zugänglichen Studien.
„Ich vermute, dass es sich bei diesem Band um ein Entspannungstraining handelt“, sagt er. Wer einen entspannten Grundzustand im Körper trainiere, verändere auch die Hirnstromkurven. Und entspannt lasse es sich natürlich besser einschlafen. „Die gleichen Effekte lassen sich wahrscheinlich aber auch mit Meditation und progressiver Muskelentspannung erreichen.“ Und die wiederum kann ich auch praktizieren, ohne 500 Dollar für ein Stirnband auszugeben.
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Ungenaue Daten
Und was hält er von Schlaftrackern? Auch hier ist der Forscher eher skeptisch. Um Werte zu optimieren, müssten diese erst einmal stimmen. „Kein mir bekanntes Gadget ist bisher in der Lage, die Schlafstadien präzise zu ermitteln“, sagt er. Auch in meinem Test weichen die Werte voneinander ab.
Der Oura-Ring sei laut Kolleg:innen aus der Wissenschaft noch am besten in der Lage, einigermaßen zutreffende Aussagen über meinen Schlaf zu treffen, meint Vorster. Ihn stört allerdings nicht nur die Ungenauigkeit der Daten, sondern auch die Schlussfolgerungen. Die Empfehlungen basierten auf einer statistischen Klassifikation, wie viel Tiefschlaf der Körper brauche.
Wie tief ich schlafe oder wie viel ich träume, könne ich ohnehin kaum selbst beeinflussen. Das Tracking verstärke vielmehr den Druck, nun auch im Schlaf eine optimale „Leistung“ vollbringen zu müssen, kritisiert Vorster: „Um richtig abschalten zu können, müssen wir jedoch das Gegenteil tun, uns entpflichten, loslassen, entspannen.“
Der Schlaf soll wie alle anderen Lebensbereiche auch zunehmend vermessen, analysiert und perfektioniert werden. Der natürliche Regenerierungsprozess wird zu einer Kennzahl verdichtet, die Abweichungen von der Norm anzeigt und den Vergleich mit anderen ermöglicht. So wird der Wunsch nach Erholung zur Jagd nach dem Optimum.
Es ist, als würde man Yoga oder Meditation als Wettkampfsport betreiben: höchste Anspannung mit dem Ziel der maximalen Entspannung. Genau diese Denkweise kann schlaflose Nächte bereiten. Orthosomnie nennt sich ein Krankheitsbild, das 2017 im „Journal of Clinical Sleep Medicine“ beschrieben wurde: eine durch Fitnesstracker ausgelöste Schlafstörung.
Entscheidend ist das subjektive Empfinden. Viele Patient:innen mit chronischen Schlafstörungen glauben, wenig zu schlafen. Wenn man sie allerdings im Schlaflabor beobachtet, schlafen sie kaum weniger als gesunde Patient:innen. Sie unterschätzen lediglich ihre Schlafdauer. Die Erklärung: Wer sich tagsüber mit dem Gedanken quält, schlecht zu schlafen, träumt nachts vom Wachliegen.
Beginnen kann eine Schlafstörung mit einer belastenden Situation: eine Krankheit, ein Todesfall, eine Trennung – oder eben eine globale Pandemie. Der Stress mag abflauen, die Schlafstörungen bleiben. Bei ernsthaften Schlafbeschwerden, die länger als einen Monat andauern, solle man sich ärztliche Hilfe suchen, rät Vorster.
Ganz so schlimm scheint es bei mir nicht zu sein. Nach einigen Wochen in der „neuen Normalität“ habe ich das Gefühl, wieder etwas besser zu schlafen. Auch weil ich Vorsters Tipps befolge: tagsüber möglichst viel Zeit an der frischen Luft bewegen, kein Kaffee nach 16 Uhr, abends mit Musik und Lesen zur Ruhe kommen. Vorster empfiehlt mir außerdem, ein Schlaftagebuch zu führen, um festzuhalten, welche Abendbeschäftigung gutgetan hat und wann ich erholt aufgewacht bin. Und auch das geht, natürlich, mit entsprechenden Apps.
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