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  • 16.03.2022
  • Miriam Meckel

Die Tyrannei der Distanz

Das Weltall wird zum nächsten Schauplatz militärischen Wettbewerbs. Was es jetzt braucht, ist ein neuer internationaler Vertrag, der Grenzen setzt für das, was mit Waffen im Orbit geschehen darf.

In diesen Tagen kann man schon mal die Augen gen Himmel richten. Nicht um die göttliche Rettung “von oben” zu erwarten für eine Welt, die sich in Teilen gerade wieder selbst zerlegt. Aber der Blick Richtung Himmel steht ja auch für den Menschheitstraum von einem anderen Lebensraum, irgendwo da draußen im Universum. In dem es friedlicher, freier und allgemein weniger belastet zugehen könnte, als dies auf der Erde der Fall ist. 

Distanz schützt nicht vor Enttäuschung. Längst ist es da draußen nicht mehr friedlich. Jedenfalls nicht mehr seit dem Moment, in dem die Menschheit begonnen hat, das All zu erobern. Was dort geschehen darf, wird noch immer geregelt durch ein Dokument von 1967. Der “Outer Space Treaty”, der Weltraumvertrag unterschrieben im Weißen Haus von den USA, der damaligen UdSSR und sechzig weiteren Staaten am Abend des 27. Januar 1967 war gemacht für eine Welt und ein Weltall, in dem fast nichts los war, jedenfalls viel weniger als heute. Im Geiste der Friedensbewegung und der Proteste gegen den Vietnamkrieg heißt es dort, dass die Erkundung des Alls „zum Vorteil und im Interesse aller Länder“ durchgeführt wird und „Sache der gesamten Menschheit“ ist”. Sie soll geleitet sein vom „Grundsatz der Zusammenarbeit und durch „Rücksichtnahme auf die entsprechenden Interessen aller anderen Vertragsstaaten“ und sieht alle Astronauten als “Boten der Menschheit”. Das klingt schön und friedlich und ist doch fluffig und nichtssagend. Als harte Tatsache besagt das Dokument nur, dass Nuklearwaffen im All verboten sind. Der Rest ist Wildwest.

Der Orbit ist inzwischen zur Rennstrecke geworden. Etwa 7000 Satelliten umkreisen die Erde, die meisten einsetzbar für zivile, aber auch militärische Zwecke. Knapp die Hälfte davon ist gar nicht mehr funktionsfähig, fliegt aber als Weltraumschrott weiter und löst bei den Bodenstationen zigtausende von Kollisionswarnungen pro Tag aus. Da niemand genau Buch darüber führt, was diese fliegenden Satellitenzombies noch können, möchte man einen Crash lieber nicht riskieren. 

Seit 2015 haben sieben Staaten ein militärisches Weltraumprogramm gestartet, darunter Russland, China, Indien, Iran und Nordkorea. Das sind keine abstrakten Aktivitäten. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie einzelne Protagonisten der neuen Aufrüstung im All ihre Spielräume bis an gefährliche Grenzen austesten. China erprobte bereits 2007 ein Waffensystem, mit dem es möglich ist, einen direkten Angriff von der Erde aus im All auszuüben. 2019 machte auch Indien einen Versuch mit einer solchen Satellitenvernichtungswaffe und schoss gezielt einen eigenen Satelliten ab. Längst ist es möglich, von unserem Boden aus militärisch im Weltraum zu operieren. Wir sind auch im All auf dem Boden der Tatsachen angekommen.

Als ob das nicht genug wäre, gehen Militärexpert:innen davon aus, dass China Laser-Waffensysteme entwickelt hat, mit denen sich die Sensorkommunikation von Satelliten gezielt ausschalten lässt. So haben die Russen 2018 die GPS-Kommunikation einer NATO-Übung in Skandinavien gestört. Umgekehrt können solche Systeme auch dazu verwendet werden, Satellitensignale zu simulieren, die es gar nicht gibt, sie also zu faken. So gab es im Sommer 2019 einen Zwischenfall im Hafen von Shanghai, bei dem ein US-Containerschiff und ein paar andere Frachter GPS-Signale empfingen, die nach Expertenansicht vom chinesischen Militär stammten, darunter auch die Information über angreifende Schnellboote. Der Kapitän des US-Frachters könnte glücklicherweise mit eigenen Augen und Fernrohr prüfen, dass diese Information nicht stimmte und so eine Katastrophe verhindern. Das aber ist der Informationskrieg 2.0, in dem die Desinformation zwischen Erde und Orbit frei fluktuiert.

Niemand kann von der Erde aus mit bloßem Auge sehen, was da oben im All geschieht. Auch die Militärexpert:innen operieren mit Systemen, die endlos weit weg sind und noch nie im Einsatz waren. Das ist das große Risiko der Militarisierung des Weltraums, die “Tyrannei der Distanz”. Wenn einmal ein Konflikt beginnt, ist es die Entscheidung einer Millisekunde, selbst zu feuern, bevor die eigenen Waffen ausgeschaltet werden.

Im Lichte dieser Entwicklungen ist es ein Witz, dass der Weltraum ein nahezu regelfreier Raum für militärische Aufrüstung ist. Dringend müsste ein neuer internationaler Vertrag her, der Grenzen setzt für das, was mit Waffen im Orbit geschehen darf. Daran arbeiten zwei internationale Expertengruppen. Eines der Dokumente beschreibt als wesentliche Vorgabe für alles Engagement im All das Prinzip der “Proportionalität allen Handelns”. Wie manch einer das interpretiert, können wir gerade auf der Erde beobachten. In der Ukraine.

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

Diese Kolumne erscheint sowohl beim Handelsblatt als auch bei uns. 

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