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  • 29.04.2022
  • Miriam Meckel

Die Rückkehr der starken Männer

Autoritäre Führung hat in der Krise Hochkonjunktur. Eine Menge an Errungenschaften adaptiver und transformativer Führung wird so kaputtgemacht.

Wäre die Weltlage nicht so desolat, man hätte mal wieder richtig lachen können über die Sau, die Elon Musk durchs Internet treibt. In einem typischen kommunikativen Wechselspiel zwischen Zuwendung und rabiater Attacke hat sich der „Trump des Silicon Valley” nun die Übernahme des Kurznachrichtendiensts Twitter gesichert - für den Preis von 54,20 Dollar die Aktie. Darin steckt ein Insiderjoke: 4:20, das ist in den USA der Code für „Weed o’clock”, die Nachmittagszeit also, zu der Menschen, wie Elon Musk, schon mal gerne einen Joint rauchen. Darüber kann er demnächst dann unbeschränkt auf Twitter reden, wenn er das Unternehmen wieder privatisiert hat.

Was man in den USA wie ein Kammerspiel streitbaren, aber originellen Führungsverhaltens beobachtet, wäre bei uns unvorstellbar. Typen wie Musk gibt es hier nicht. Jedenfalls nicht in dieser Ausprägung. Musk steht für das eine Ende des Spektrums einer Rückkehr des autoritären Führers, der nicht lange fackelt. Er ist in dieser Rolle camoufliert als libertärer Tech-Milliardär, der sogar Milliarden ausgibt, schlicht um jeden Scheiß im Internet sagen zu dürfen. Am anderen Ende dieses Spektrums steht die konventionelle autoritäre Führungskraft, die letztlich auch immer alleine alles am besten weiß, aber deutlich angepasster agiert. In der Krise haben beide Modelle Konjunktur. Für Teamplay, Diversität und eine moderne, zukunftsgewandte Unternehmensentwicklung sind das schlechte Nachrichten.

Die Krise, sie erschüttert gerade wieder die geopolitische Welt, und natürlich ist die Wirtschaft davon immens betroffen: Lieferengpässe, steigende Energiepreise, auch die Angst davor, dass die Globalisierung auf unabsehbare Zeit zum Halten gebracht worden sein könnte. Bei einem Stopp für Gas aus Russland sagt die Deutsche Bundesbank ein Minus von 165 Milliarden Euro für dieses Jahr und eine Rezession voraus. Das alles stellt Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Die Menschen an der Spitze erst recht.

In solch einer Krise schrumpft manch ein Handlungsspielraum wie eine Pfütze in der Wüste. Der Rest labenden Wassers ist oft nicht mehr als eine Luftspiegelung. In solch einer Krise geht alles zurück auf Business as usual, kein Risiko, kein Gedöns - außer man heißt Elon Musk und kann es sich leisten.

Es ist die Wiederkehr des starken Mannes, die wir gerade in der Weltpolitik erleben. Putin in Russland, Trump in den USA. Erdogan in der Türkei, Xi Jinping in China, Modi in Indien oder Bolsonaro in Brasilien, sie alle haben einiges gemeinsam: die Überzeugung, sie alleine könnten den richtigen Weg zeigen. Und der führt immer wieder zu ihren eigenen Interessen zurück. Kraftmeier an der Spitze von Staaten sind ultrakonservativ, schwelgen in einem nostalgischen Nationalismus, pflegen einen Personenkult der Unfehlbarkeit und bekämpfen alle Tendenzen der Diversität, Transparenz und Demokratisierung. Für ihre Skrupellosigkeit gibt es immer die eine gute Begründung: Das Land steckt tief in der Krise, und bei seiner Rettung kann man keine Rücksicht auf liberale Ideale oder die Rechtsordnung nehmen.

Pandemie sorgt für weniger Diversität in Vorstandsetagen deutscher Unternehmen


Manche dieser “Führungsprinzipien” färben in einer krisengeschüttelten Wirtschaft auf die dortigen Top-Entscheider ab. Das ist psychologisch verständlich und doch problematisch. Ukraine-Krieg, Energiekrise, destabilisierter Welthandel sind keine Feuer, die sich einmal löschen lassen. Wie schnell auch immer dieser Krieg beendet sein wird, er wird langfristige Folgen haben. Führungskräfte, die allein auf technische Lösungen des Notfallmanagements setzen, haben keinen Plan, ihr Unternehmen langfristig resilient zu machen. Sie verhalten sich wie uneinsichtige Patienten nach einem Herzinfarkt: die Medikamente nimmt man zwar, aber es wird weiter geraucht, und für Sport bleibt auch keine Zeit. Die neue Welt- und Wirtschaftslage ist ein adaptives Problem, dem man nicht allein mit technischen Lösungen beikommen kann. Der Normalzustand ist heute immer von gestern.

Unternehmen mit einem diversen Führungsteam sind besser darin, adaptive Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Umso schwieriger ist es, dass schon während der Pandemie die Vorstandsetagen deutscher Unternehmen wieder einheitlicher geworden sind. Thomas und Andreas neigen dazu, sich in den praktischen technischen Lösungen schneller einig zu sein. Also werden Susanne und Jennifer kurzfristig entsorgt. Das ist bei autoritären Staatenlenkern genauso. Männerdominierte Hierarchien und Top-down-Absicherung der eigenen Position sind die Regel.

Dabei wissen wir aus der politischen Forschung, dass Frauen an der Frontlinie gesellschaftliche Umbrüche erfolgreich bewältigen. Weil sie verhandlungs- und kompromissfähig sind. Eine wesentliche Beteiligung von Frauen und diversen Akteuren erhöht auch das soziale, moralische und finanzielle Kapital, das eine Bewegung nutzen kann, um das Unterstützungssystem des Gegners zu untergraben. Wenn es ums Ganze geht, müssen Frauen an die Front - in Politik wie Wirtschaft. Geht es um den Moment und individuelle Macht, stören sie eher.

Elon Musk: Friss oder stirb


Die Krise, die wir nun erleben, droht eine Menge an Errungenschaften adaptiver und transformativer Führung wieder kaputt zu machen: zurück zu einsamen und technischen Entscheidungen, weniger Diversität, weniger Teamplay und Investitionen in den dauerhaften Wandel. Das ist so schade. Denn die nächste Welle kommt. Sie wird von denen geritten, die nicht die großen Zusammenhänge im Umgang mit der Krise aus dem Blick verloren haben. Es kommt gerade auch in der Krise darauf an, die eigene Führungskompetenz und -weise zu hinterfragen und immer wieder anzupassen. Nur so lässt sich eine Organisation langfristig steuern durch die Herausforderungen immer neuer Krisen, immer anspruchsvollerer Anforderungen an die Arbeitswelt und durch die Integration von neuen Technologien, wie künstlicher Intelligenz. 

Das kann Elon Musk? Nun ja … „Ich spiele keine Hin- und Her-Spielchen“, sagte Musk zu seinem Übernahmeangebot an Twitter. „Ich bin gleich zum Ziel gesprungen.“ Übersetzt heißt das: friss oder stirb. Das Leitmotiv der autoritären Führung.

Titelbild: Getty Images

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

Diese Kolumne erscheint sowohl beim Handelsblatt als auch bei uns.

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