Bauen könnte durch neue Technologien sofort schneller, günstiger und nachhaltiger werden – wenn die Branche nicht so langsam wäre.
Dieser Maurer hat nur einen Arm, bei Regen versagt er den Dienst, und seine Wände sehen aus, als hätte ein Kind mit Putz und Mörtel gespielt: Überall quillt Beton hervor. Willkommen auf der Baustelle der Zukunft. Hier gilt die Kleckertechnik nicht als Unfall, sondern als neue Basistechnologie.
Der Maurer ist in Wahrheit ein Roboter; die Mauer wird nicht gekleckert, sondern gespritzt; und die Wände, die da unter Regenschutzplanen wachsen, sind so schnell hochgezogen, so stabil und so präzise nach Plan gesetzt, dass sich niemand je über eine hubbelige Fassade beklagen würde.
Robotic Shotcrete Printing, zu Deutsch Roboter-Spritzbetondruck, nennen manche die Maurer-Methode 2.0. Andere sprechen vom „additiven Schichtbauverfahren“, wieder andere sagen schlicht 3-D-Druck. Tatsächlich pressen die Industrieroboter, die als Werkzeug eine Druckdüse am Arm montiert haben, zentimeterdicke Betonwürste heraus, bis dann Zeile für Zeile, Wulst für Wulst Mauern zu erkennen sind, Stürze und Fenstersimse. Nach nur wenigen Tagen ist der Roboter mit seiner Arbeit fertig – und zieht per Lkw weiter zur nächsten Baustelle.
Villa aus dem 3-D-Drucker
Was nach einer fernen Zukunftsvision klingt, ist bereits Realität. In Peking zog ein Roboter im Jahr 2016 in nur 45 Tagen die Wände einer Villa hoch – das Haus gilt als erstes 3-D-Druck-Gebäude der Welt, das vor Ort entstand. Zwei Jahre zuvor hatte ein chinesisches Unternehmen bereits Hauswände in einer Fabrik vorgedruckt. Im Jahr 2017 druckte das russisch-amerikanische Start-up Apis Cor bei Moskau den Rohbau eines 37 Quadratmeter großen Hauses innerhalb von nur 24 Stunden. Maurer hätten dafür locker eine Woche gebraucht. Inzwischen stehen weltweit auch deutlich größere und sogar mehrgeschossige 3-D-Druck-Häuser. Die neue Bauart lässt sich unter anderem in Dubai besichtigen, in Spanien, Mexiko und in den Niederlanden.
Die neuen Maschinen haben das Zeug, das Fundament zu erschüttern, auf dem über Jahrhunderte unsere Vorstellung vom Bauen errichtet wurde. Seit die Menschen sesshaft und gläubig sind, schichten sie Steine, Holz, Gras und Lehm aufeinander, sie verschalen und verflechten, verleimen, verzapfen und verschrauben – und sie quälen sich dabei.
Das erste vollständig mit dem 3D-Drucker erstellte Haus in Peking. Foto: Getty
Bauwerke waren und sind bis heute stets mit Schufterei verbunden, eine mühevoll von Menschenhand errichtete Welt aus Mauern, Dächern und Fassaden. Der britische Philosoph Alain de Botton feierte Baustellen in seinem Buch über „Glück und Architektur“ als Ikonen körperlicher Arbeit: Während Gebäude häufig ein unbekümmertes Äußeres auszeichne, lerne, wer selbst ein Haus bauen wolle, die damit verbundenen Qualen kennen. In diesem Sinne ist ein 3-D-Drucker, der eine langwierige körperliche Arbeit mühelos in wenigen Stunden vollführt, nicht weniger als eine kulturelle Revolution. Und die begeistert nicht nur Philosoph:innen.
Tatsächlich löst die Technologie höchst praktische Probleme. Aufgespritzter Beton braucht keine Verschalung, beim Bau entsteht so gut wie kein Abfall, es muss auch niemand erst aufwendig Steine oder Ziegel brennen, zur Baustelle fahren und den Mörtel mischen.
Die Baustoff- und Baumaschinenforscher Viktor Mechtcherine und Gunther Kunze von der Technischen Universität Dresden rechnen damit, dass die Technik bis zu 35 Prozent der Rohbaukosten sparen kann – die wiederum etwa die Hälfe der Gesamtkosten eines Gebäudes ausmachen. Da die Wände zudem viel schneller stehen, Roboter die Baupläne fehlerfrei umsetzen und dabei dank weniger Abfall auch noch die Umwelt entlasten, prognostizieren Expert:innen auf dem Bau allein durch den 3-D-Druck ein neues Multimilliardengeschäft.
Und das ist längst nicht alles. Die Unternehmensberatung McKinsey erwartet in den kommenden Jahren nicht weniger als eine neue Ära der gesamten Bauindustrie: Neue Verfahren, neue Werkstoffe und neue Technologie sollen fundamental die Art verändern, wie wir Gebäude planen, gestalten und errichten.
Lohnende Innovationen
Jahrzehntelang habe sich der Bausektor als digitales Entwicklungsland präsentiert, heißt es in einer aktuellen Analyse der Beratung. Doch nun erfasse die technologische Disruption den größten Infrastruktursektor der Welt, der für 13 Prozent der weltweiten Wertschöpfung verantwortlich sei.
Der Grund dafür ist simpel: Die Branche hat sich in der Vergangenheit derart ineffizient und innovationsfeindlich gezeigt, dass die Früchte für neue Anbieter hier besonders tief hängen. Die Erträge liegen laut McKinsey industrieweit derzeit nur bei fünf Prozent. Nachhaltigkeitsanforderungen und Kostendruck steigen, zugleich wird qualifiziertes Personal knapp. „Auf Disruptoren wartet ein jährlicher Profitpool in Höhe von 265 Milliarden US-Dollar“, heißt es im Unternehmensberater- Sprech.
Weltweit versuchen kleinere und größere Start-ups, einen Teil dieser so lang verschütteten Gewinne aufzudecken und einzustecken. Die einen versuchen sich an selbstheilendem Beton, der Risse von allein vernarben kann. Andere wollen Dämmstoffe aus Pilzen züchten, um eine umweltfreundliche Alternative zum Styropor zu gewinnen. Für die Branche noch entscheidender als neue Baustoffideen sind aber Prozessinnovationen. Anders gesagt: Die Bauindustrie sucht gerade nicht bloß den perfekten Baustoff der Zukunft, sondern auch den perfekten Ablauf.
Als Schlagwort der Stunde gilt das modulare Bauen. Die Kernidee: Ingenieur:innen verlagern immer mehr Arbeiten von der Baustelle in geschlossene Fabriken. Damit lassen sich gleich mehrere branchentypische Widrigkeiten beseitigen: Arbeiter:innen müssen im Sommer nicht schwitzen und im Winter nicht frieren, weder Regen noch Frost kann den Bau aufhalten. Vor allem aber können in Fertigungshallen Einzelteile vollautomatisiert und in großen Stückzahlen entstehen – ähnlich wie bei der Serienfertigung in der Autoindustrie.
Wie so etwas in der Realität aussieht, lässt sich in Dübendorf besichtigen. Etwa 30 Autominuten außerhalb von Zürich steht ein Haus, das nicht nur so aussieht, als hätte ein Kran mehrere Flachbauten aufeinandergesetzt. Der Großteil des Gebäudes entstand tatsächlich in einer Produktionshalle, wurde fertig angeliefert und vor Ort nur noch mit Fassaden versehen und verbunden.
Peter Richner ist Projektleiter der Next Evolution in Sustainable Building Technologies, einer Art Stein gewordenen Forschungsobjekts. Während es bei der Fertigung der Teile zugeht wie bei Ford, haben sich die Entwickler:innen den letzten Bauschritt beim Schiffsbau abgeschaut: „Fertige Kabinen werden in die Außenhülle eingesetzt und nur noch über Anschlüsse verbunden“, sagt Richner. „Da müssen wir mit der Baubranche auch hinkommen.“ Denn so ließe sich Geld, Zeit und Energie sparen.
Dafür bedarf es vor allem des Willens zur Kooperation. Forschung, Industrie und Wirtschaft entwickeln das Gebäude gemeinsam. Alle Beteiligten, vom Baukonzern bis zum Start-up, können neue Stoffe und Techniken direkt austesten. Erste Ideen haben bereits Marktreife erhalten, bei anderen zeigten sich in der Praxis unerwartete Probleme, die es im Labor nicht gab.
Ein Beispiel: Ein Schweizer Unternehmen verbaute im neuen Gebäude Prototypen eines elektrischen Türschlosses. Beim Eintippen des Zahlencodes kam es allerdings immer wieder zu Abbrüchen und Fehlern. Eine Befragung der Bewohner:innen zeigte außerdem: Das Touchpad reagiert zu langsam. So konnten die Entwickler:innen zügig nachbessern und die marktreife Codetastatur zeitnahe erscheinen.
Ressourcenschonende Bauweise
Die Modulbauweise und die Entwicklungsarbeit mit den späteren Nutzer:innen soll Zeit und Geld sparen. So können beispielsweise Gebäudeplaner künftig Wohnkonzepte wie im Baukasten an das konkrete Grundstück und die späteren Bewohner:innen anpassen – alle dazu nötigen Teile sind aber schon fertig geplant und direkt im Werk produzierbar. Das könnte auch soziale Probleme lösen, weil Wohnraum damit nicht nur bezahlbarer und schneller verfügbar wird – sondern auch attraktiver.
So wie der Cube 11, ein Bauprojekt des Ludwigsburger Wohnungsbauunternehmens: Die Häuser stehen stets auf elf mal elf Metern Grundfläche, bieten auf mehreren Etagen aber Platz für unterschiedliche Nutzungen – vom Ein-Zimmer-Apartment bis zum Fünf-Zimmer-Penthouse. Die Grundrisse sind dieselben, von außen aber sehen die Häuser anders aus. Die Stadt plant einen Onlinekonfigurator, sodass sich alle Interessent:innen am PC ihren Favorit zusammenstellen können. Die Pläne wandern dann direkt in die Produktionshalle, wo die automatisierte Fertigung beginnt.
Der Cube 11 in Ludwigsburg soll Wohnraum bezahlbarer und schneller verfügbar machen. Foto: Wohnungsbau Ludwigsburg
Wann sich solche Vorhaben als massentauglich erweisen, ist nicht nur eine technische und organisatorische Frage. Kay Smarsly hält es auch für eine kulturelle Herausforderung. „Tradition und regulatorische Vorgaben gelten oft als Entschuldigung für fehlende Innovationen“, sagt der Professor für Informatik im Bauwesen an der Bauhaus-Universität Weimar. Mit anderen Worten: Die Baubranche in Deutschland ist stockkonservativ – um nicht zu sagen: Sie schläft. „Andere Länder sind schon sehr viel weiter“, sagt Smarsly. Er macht das an einem anderen Schlagwort fest, das die Debatte um das Bauen der Zukunft in den vergangenen Jahren ähnlich stark geprägt hat wie die Modulbauweise: Building Information Modeling, kurz BIM.
BIM war zunächst als einheitliches Dateiformat zum Austausch von Baudaten gedacht. Mittlerweile ist das Potenzial klar. Wenn alle am Bau beteiligten Unternehmen von Anfang an alle Daten zum Gebäude einbringen und später eingebaute Sensoren laufend weitere Daten liefern – etwa zur Feuchtigkeit oder zu Erschütterungen –, dann ließe sich das Leben eines Gebäudes von Planung bis Abriss vollständig dokumentieren. Die Häuser erhielten sozusagen einen digitalen Zwilling. „Dann wird der gesamte Bauprozess transparenter“, sagt Smarsly, „und es kann weniger gepfuscht werden.“
Bei neuen öffentlichen Infrastrukturprojekten ist der Einsatz von BIM Daten seit 2020 verpflichtend. Trotzdem hat erst ein Drittel der deutschen Anbieter eine ausgereifte Strategie für den Umgang mit den Daten, zeigt eine Umfrage der Unternehmensberatung PwC zur Digitalisierung der deutschen Bauindustrie. Smarsly erhofft sich von der neuen Technik immense Produktivitätsvorteile. Möglich wäre es zum Beispiel, Klimaanlagen besser einzustellen oder digital auf Schadenssuche zu gehen. Künftig ist auch denkbar, dass Sensoren bei erhöhten Schadstoffwerten, wenig Sauerstoff oder hoher Feuchtigkeit automatisch die Fenster kippen oder die Klimaanlage steuern. Smarsly: „Eine Serienlösung wird aber noch dauern.“
Die Revolution auf dem Bau lässt eben doch noch etwas auf sich warten, und so lange haben die Maurer:innen alle Hände voll zu tun.
Titelbild: Getty Images