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  • 04.03.2022
  • Miriam Meckel

Der erste Weltinformationskrieg

Politik und Unternehmen müssen lernen, mit der informationellen Kriegsführung umzugehen. Denn der Kampf um Information und Desinformation ist dem mit Waffen gleichzusetzen.

Es ist exakt 60 Jahre her, dass der kanadische Medienphilosoph Marshall McLuhan den Begriff des „globalen Dorfs“ prägte. In seinem Buch „Die Gutenberg-Galaxis“ beschreibt McLuhan, wie die Welt durch elektronische Vernetzung immer stärker zusammenwächst, bis alle Menschen schließlich in einem Weltdorf leben. Auf diesen Begriff sind die Propheten des Technozäns aufgesprungen wie Flöhe auf wallendes Haupthaar – Fahnenträger der positiven Botschaft, dass Vernetzung die Menschheit in eine Zeit des Friedens und der Verständigung führen wird.

Es hilft ja gelegentlich, ein Buch auch zu lesen, bevor man mit den Schlagwörtern hausieren geht. Bei McLuhan zeigt sich nämlich: Er hat das globale Dorf nie als Friedenstraum der Menschheit interpretiert. Vielmehr sah er die kriegerischen Stammesgesellschaften der Vergangenheit in der umfassenden Vernetzung reaktiviert: „Wie in der Urzeit leben wir heute in einem globalen Dorf, das wir selbst geschaffen haben, in einem simultanen Geschehen. Das bedeutet nicht unbedingt Harmonie und Ruhe, aber es bedeutet eine enorme Einmischung in die Angelegenheiten der anderen.“

Seit dem vergangenen Donnerstag wissen wir: Er hatte recht.

Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Wladimir Putin sich als Häuptling eines allzu gestrigen Stammes entlarvt. Die weltweite Aufmerksamkeit für das Geschehen in der Ukraine, die Reaktionen von Nato und Europäischer Union, die sichtbaren und unsichtbaren Fronten der Auseinandersetzung mit physischen und virtuellen Waffen zeigen, dass wir eine neue Zeit betreten haben. Eine Zeit, in der jedes Verständnis und jedes Missverständnis auf der Weltbühne gleichzeitig möglich ist.

Es ist die Zeit des hybriden Kriegs, in dem es neben dem freien Marktplatz der Information auch den Schwarzmarkt der Desinformation gibt. In dem der ukrainische Präsident Selenski mit einem Handyvideo zur Welt sprechen kann, während Cyberangriffe Teile des ukrainischen Internets, von Wirtschaft und Regierung des Landes immer wieder lahmlegen.

Dieser Krieg ist der erste Weltinformationskrieg oder „World War Wired", wie es „New York Times“-Kolumnist Tom Friedman beschreibt. Er hat nicht am vergangenen Donnerstag begonnen, sondern vor acht Jahren. Rückblickend zeigt sich, dass Putins Russland seitdem konsequent daran gearbeitet hat, einen Desinformationskrieg gegen weite Teile der Welt, besonders den Westen, zu führen. Die Ukraine war immer Medium seiner Bemühungen.

Es begann Ende 2013 mit den Demonstrationen gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch auf dem Maidan-Platz in Kiew. Janukowitsch musste fliehen, und kurz darauf besetzten russische Truppen die Krim. Seitdem sind in der Ukraine durch den Konflikt 14.000 Menschen ums Leben gekommen, ein Krisenzustand, der in den letzten Jahren immer weniger Aufmerksamkeit erlangte. Eine aktive Desinformationsstrategie, wie sie in der Folge der Krimannexion ausgerollt wurde, hatte es bislang so nicht gegeben.

Die Aktionen russischer Geheimdienste wurden durch die sozialen Medien zu digitaler Propaganda auf Steroiden, umfassend, unsichtbar und bei Weitem nicht auf die Ukraine begrenzt. Wie das FBI im Mueller-Report, einer detaillierten forensischen Analyse zur US-Wahl 2016 auf 448 Seiten, dargelegt hat, richtete sich die russische Desinformation ebenso konsequent gegen die USA. Im Ergebnis streiten sich manche Augenzeugen noch immer darüber, was wirklich passiert ist. Man kann das ziemlich gut auf den Punkt bringen: Putin hat mithilfe seiner Hacker-Truppen die Wahl gekapert und Trump durch gezielte Datenleaks zum Sieg verholfen.

Noch heute fehlt vielen Beobachtern der Mut, diesen Angriff zu benennen als das, was es ist: modernste Kriegsführung. Stattdessen spricht selbst der Mueller-Report davon, dass Russland „sich in umfassender und systematischer Weise in die Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt hat“. Das wichtigste Momentum einer Demokratie zu manipulieren ist kein Spiel. Es ist auch keine Einmischung, sondern ein gewaltsamer Akt zur Wiederherstellung einer undemokratischen, überkommenen Ordnung.

Nicht nur die Politik muss mit dieser neuen Form der informationellen Kriegsführung umgehen. Auch Unternehmen müssen wissen, dass dieser Krieg nie nur auf dem Schlachtfeld der Wahlmanipulation stattfindet. Er kann auch die eigenen IT-Systeme treffen. In den Tagen vor dem sichtbaren Angriff von Putins Truppen auf die Ukraine fanden vielfach zunächst unsichtbare Angriffe mit Schadsoftware auf Regierungsinstitutionen, den Finanz- und Energiesektor in der Ukraine, aber auch in Lettland und Litauen statt.

Auch der bislang zerstörerischste Cyberangriff durch die Schadsoftware „Notpetya“ im Jahr 2017 ging von den Hackern des russischen Militärs aus und richtete sich zunächst auf die Ukraine. Innerhalb von wenigen Stunden hatte die Ransomware auf andere Länder und ihre Unternehmen übergegriffen, die Schiffe des dänischen Logistikunternehmens Maersk, den Pharmakonzern Merck oder den französischen Baukonzern Saint-Gobain lahmgelegt und einen Schaden von zehn Milliarden Dollar angerichtet.

„Uns fehlt teilweise in unserer Disney-World, an der wir in der westlichen Welt gern festhalten würden, der Realitätssinn“, sagte Telekom-Chef Tim Hoettges am vergangenen Donnerstag dem Handelsblatt. Wir werden uns im globalen Dorf auf diese Variante der Cyberkriegsführung einstellen müssen. Der Kampf um Information und Desinformation ist dem mit Waffen gleichzusetzen. Nicht jeder Angriff ist dabei unmittelbar sichtbar. Aber ein Krieg ist ein Krieg. So sollte man ihn dann auch benennen, bevor ein Land überfallen wird.

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

Diese Kolumne erscheint sowohl beim Handelsblatt als auch bei uns. 

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