In diesem Brief aus der Zukunft geht es um den Niedergang sozialer Medien in 2023 // Social Media bewusster nutzen // Die nächste Generation der Internetsuche.
Mit dem Rauchen aufzuhören, ist seit Jahrzehnten einer der beliebtesten Neujahrsvorsätze. Da bildet dieses Jahr keine Ausnahme. Bemerkenswert in der Statistik ist heuer aber eine andere, fast gleichauf liegende und als schlecht geltende Angewohnheit: Social Media Nutzung.
Das vergangene Jahr war kein gutes für die großen Social Media Plattformen. Viele stagnierten nicht nur im Wachstum oder schrumpften sogar, sondern verloren auch maßgeblich an Wert und Bedeutung. In den USA entließen Tech-Unternehmen wie Meta, Microsoft, Twitter und Snap 2022 zusammen mehr als 150.000 Mitarbeitende. Dazu gelangen immer mehr Menschen, besonders Jüngere, zu der Einsicht, dass soziale Medien irreparabel schlecht sind – und wenden sich zunehmend von ihnen ab. Steuern wir 2023 also auf das Ende von Social Media zu?
Die Anzeichen dafür verdichten sich. Das jedenfalls glaubt der Autor und Medienwissenschaftler Ian Bogost. In einem Artikel für das US-Magazin The Atlantic argumentierte er im November, dass sich die Ära der sozialen Medien, wie wir sie seit etwa einem Jahrzehnt nutzen, langsam dem Ende zuneige. Aktuelle Symptome dieser Entwicklung sind für ihn das Chaos bei Twitter und die fortwährenden Rückschläge von Meta. Bogost differenziert dabei zwischen den frühen sozialen Netzwerken, deren primäres Ziel es gewesen sei, Menschen zu verbinden, und den heutigen, hyperkommerzialisierten und toxischen sozialen Medien. Sich von letzteren loszusagen, sei ein ähnlich langwieriger und schmerzhafter Prozess wie die schrittweise gesellschaftliche Abkehr vom Rauchen – womit wir wieder bei den Vorsätzen wären.
Noch radikaler sieht es der niederländische Netztheoretiker Geert Lovink. In seinem neuesten Essay „Extinction Internet“ prophezeit er gar das Ende des Internets insgesamt. Während Lovink die Probleme unserer digitalen Gegenwart lange für reparabel hielt, zeichnet er neuerdings ein ganz und gar düsteres Bild. Im Kern seiner Argumentation stehen soziale Medien, die heute so destruktiv und invasiv seien, dass den Menschen an diesem Punkt nichts anderes übrig bliebe, als ihnen den Rücken zuzukehren, so Lovink.
Aus beiden Perspektiven spricht eine tiefe Enttäuschung. Das ist angesichts der jüngeren Vergangenheit kaum verwunderlich, beschränkt sich aber letztlich auf eine spezifische Perversion des im Kern wichtigen Konzepts digitaler und sozialer Resonanzräume. Aufgeben sollte man die Hoffnung deshalb nicht. Ja, vielleicht erleben wir gerade den Anfang vom Ende ausbeuterischer sozialer Medien. Doch 2023 könnte auch das Jahr sein, in dem einige Alternativen ihren endgültigen Durchbruch feiern werden. Die unaufgeregten und aufs Wesentliche reduzierten Konzepte von Mastodon, Poparazzi und BeReal machen es vor.
von Finn Blug
Personal Growth
No more bets: Soziale Medien weniger nutzen
Wer zum Jahreswechsel mit dem Rauchen aufhören will, kämpft dabei nicht nur gegen den inneren Schweinehund und körperliche Abhängigkeit, sondern auch gegen das Eigeninteresse der Tabakindustrie. Ganz ähnlich geht es denjenigen, die soziale Medien weniger nutzen wollen. Zu viel Zeit auf digitalen Plattformen zu verbringen mag wie eine schlechte Angewohnheit wirken, doch auch hier kann wirkliche Abhängigkeit entstehen: Eine blinkende Benachrichtigung hat eine ähnliche Wirkung auf unser Gehirn wie ein klingelnder Casino-Spielautomat, und genau das liegt häufig im Interesse kommerzieller Plattformen.
Wenn du trotzdem – oder gerade deshalb – versuchen willst, deine Nutzung von Twitter, Instagram und Co. einzuschränken, könntest du so vorgehen:
1. Setze dir klare Grenzen: Entscheide, wie viel Zeit du mit Social Media verbringen möchtest und versuche dich daran zu halten. Du kannst andersherum auch Zeiten festlegen, zu denen du offline sein willst.
2. Benutze Einschränkungsfunktionen: Digitale Plattformen haben häufig Funktionen, mit denen du deine Nutzung einschränken kannst, etwa indem du Benachrichtigungen deaktivierst. Website-Blocker wie Cold Turkey oder LeechBlock können dich dabei zusätzlich unterstützen.
3. Nutze Social Media bewusster: Frage dich, warum du bestimmte Plattformen nutzt. Willst du dich digital mit Menschen vernetzen oder fehlt dir (auch offline) der soziale Austausch? Vielleicht ist ein Schritt vor die Tür die bessere Alternative zum Griff nach dem Smartphone?
von Lea Beiermann
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