Die Fehler bei der Pandemiebekämpfung wiederholen sich in den deutschsprachigen Ländern. Ein Kernproblem ist noch immer die digitale Infrastruktur. Das ist eine Farce.
Und ewig grüßt das Murmeltier: Gefangen in einer Zeitschleife, beobachten wir, wie die nächste Welle des Coronavirus das Land in den Griff nimmt. Infektionszahlen schnellen in die Höhe, Krankenhausbetten auf den Intensivstationen füllen sich, das soziale Leben versiegt, und das Nachbarland Österreich ist schon wieder im Lockdown.
Immerhin, muss man sagen, denn verbunden mit einer Impfpflicht besteht so wenigstens mittelfristig die Chance, den Teufelskreis aus Virenmutation, Ignoranz und politischer Hasenfüßigkeit zu brechen. Ob uns das in Deutschland auch mal gelingt?
Schön wär‘s. Man hätte sich wirklich nicht träumen lassen, dass es einem Land wie Deutschland passieren kann, zwei Jahre lang immer wieder dieselben Fehler zu machen oder, präziser gesagt, sich von Fehlermutation zu Fehlermutation durchzuwursteln. Die deutschsprachigen Länder, Deutschland, Österreich und Teile der Schweiz, führen in Europa die Liste an, wenn es um den Anteil der Ungeimpften in der Bevölkerung geht, etwa jeweils ein Viertel in allen drei Ländern.
Noch schlimmer sieht es in dieser Rangfolge des Grauens nur in Staaten wie Ungarn, Polen und Russland aus, die eifrig an der Rückkehr ins autoritäre Zeitalter arbeiten und Anteile zwischen 30 und fast 60 Prozent Ungeimpften in der Bevölkerung aufweisen.
Karl Marx kannte viele gesellschaftliche Übel, allerdings nicht das neue Coronavirus, und doch hat er die derzeitige Situation in Teilen von Europa schon vor etwa 200 Jahren exakt beschrieben: Geschichte ereignet sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Inzwischen sind wir in der Farce angekommen. Und wären die Fakten nicht so traurig und bedrohlich – gesundheitlich, ökonomisch und zerstörerisch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt –, man könnte einfach nur noch lachen.
Oder heulen. Zum Beispiel, wenn man sich die neue Zauberzahl anschaut, die nun Klarheit über den akuten Zustand der Bedrohung durch Covid bringen soll. Die Krankenhaus- oder Hospitalisierungsrate, die im aktualisierten Impfschutzgesetz vorgesehen ist, bezeichnet die an das Robert Koch-Institut übermittelte Anzahl der Covid-19-Fälle, die ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Leider ist sie kaum aussagekräftig, weil sie nur die Lage von vor etwa drei Wochen widerspiegelt. Bis heute gibt es nämlich kein digitales Meldeverfahren. In Deutschland werden die Zahlen weiterhin gefaxt.
Defizite wurden in der Pandemie nicht beseitigt
Womit wir bei einem der Kernprobleme der Pandemiebekämpfung sind: der digitalen Infrastruktur. Sie wurde schon vor der Pandemie über Jahre vernachlässigt. Deshalb gibt es kaum verlässliche tagesaktuelle Daten, führen Ärzte Papierkriege zusätzlich zum Kampf gegen das Virus, kommunizieren Gesundheitsämter noch immer unzureichend miteinander. Im neuen EU-Digitalindex für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft liegt Deutschland wieder in einigen wesentlichen Kriterien deutlich hinter dem EU-Durchschnitt, zum Beispiel bei der Integration der Digitaltechnik und der Digitalisierung öffentlicher Dienste (E-Government).
Nun hätte man erwarten können, dass innerhalb von zwei Jahren Pandemiegeschehen genügend Anreize gegeben waren, diese Defizite konsequent auszubügeln. Aber das ist nicht geschehen. Wir faxen einfach weiter und diskutieren nun wieder über weitreichende Beschränkungen und mögliche Lockdowns, zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, ein Dreivierteljahr nachdem verschiedene Impfstoffe zur Verfügung stehen.
Was ist los mit Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass gerade diese Länder angesichts der Pandemie so versagen? Die mangelnde digitale Vernetzung der öffentlichen Verwaltung ist nur ein Grund dafür. Die Regierungen scheinen auch eine heillose Angst davor zu haben, sich klar zugunsten der gesundheitlichen Solidarität zu positionieren, wie Österreich es inzwischen getan hat.
Mit dem langen Zögern gegenüber einer Impfpflicht oder zumindest deutlichen Beschränkungen für Ungeimpfte haben diese Regierungen ein unglückliches Zeichen gesetzt: die Zögerlichkeit gegenüber AfD-Sprech, Verschwörungstheorien und allgemeiner Unlust, einen individuellen Beitrag zu leisten, damit Wirtschaft und Gesellschaft von weiteren schwerwiegenden Maßnahmen verschont bleiben. All das scheint wichtiger zu sein als die Anforderungen einer Solidargemeinschaft in Pandemiezeiten.
Im Lichte der Pandemie zeichnet sich ein „altes Europa“ ab
Wenn in anderen europäischen Ländern deutlich höhere Impfquoten erzielt werden, Portugal, Spanien, Frankreich liegen alle weit über 70 Prozent, dann müssen wir die Frage vielleicht sogar umgekehrt stellen: Gelingt es in den demografisch alternden deutschsprachigen Ländern überhaupt noch, zukunftsorientierte Politik durchzusetzen, wenn die Mehrheit auf Bestandserhalt gepolt ist? Oder hat gar der Sozialstaat einen Teil der Menschen inzwischen so träge werden lassen, dass man gar nicht mehr auf den Gedanken kommt, es könne noch andere wichtige Interessen geben als die eigene Freiheit, die sich offenbar wesentlich in der Impfverweigerung manifestiert?
Es war 2003, als der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von „Old Europe“, dem alten Europa, gesprochen hat. Das war kein Kompliment, kein Lob für Tradition und Kontinuität. Es war harte Kritik daran, dass Deutschland und andere europäische Länder nicht mehr in der Lage sind, sich neu in der Zeit zu orientieren.
Rumsfelds Ausspruch fiel im Kontext des Irakkriegs. Damit ist unsere heutige Situation in nichts zu vergleichen. Wohl aber zeichnet sich im Lichte der Pandemie ein anderes „altes Europa“ ab. Dem gelingt es nicht mehr, mit der Zeit zu gehen, Mehrheitsinteressen durchzusetzen, konsequent in die Zukunft, den Fortschritt und damit das Wohl der eigenen Bevölkerung zu investieren. Gemessen an dem, was möglich wäre, ist das tatsächlich eine Farce.