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  • 13.05.2021
  • Olaf Wittrock

Bei Erfolg überflüssig

Innovation Labs sollen neue Ideen finden und den Kulturwandel beschleunigen. Wann das klappt – und woran es scheitert.

Muss man sich Sorgen machen um die Zukunft des Frankfurter Flughafens? Die Lufthansa jedenfalls breitet ihre Flügel gerade über ganz andere Orte auf der Welt aus: Berlin, Singapur und künftig auch Shanghai – in diesen Städten betreibt der Konzern den Lufthansa Innovation Hub, kurz LIH. Ein Zukunftslabor, das systematisch digitales Neugeschäft entwickeln soll. Ehemalige Gründer:innen, Start-up-Spezialist:innen, Expert:innen für Wagniskapital, Designer:innen und Marktforscher:innen, insgesamt 35 an der Zahl, stecken in dem Zukunftslabor ihre Köpfe zusammen und träumen von der Zukunft des Reisens.

Wobei die Sache mit dem Träumen vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen ist. Der Auftrag, den der LIH zu erfüllen hat, ist nämlich deutlich weniger abgehoben, als es der Standort und die bunte Mischung an Menschen vielleicht erst einmal vermuten lassen. Er soll, simpel formuliert, Ideen entwickeln, die das Reisen einfacher, effizienter, ja intelligenter gestalten könnten. So steht es unter anderem auf der LIH-Website.

LIH-Geschäftsführer Gleb Tritus drückt das natürlich ein bisschen bedeutsamer aus: „Wir sollen das Morgen und Übermorgen der Lufthansa bestreiten.“ Auch er weiß aber, dass die fantastischen Ideen im besten Fall recht schnell in einer konkreten Geschäftsidee münden – in einer App für den Konzern beispielsweise oder in einer erfolgreichen Travel-Tech-Ausgründung. Der Hub soll und darf also an vielem forschen. Er müsse aber, sagt Tritus, „auch im Hier und Jetzt Relevanz entwickeln und natürlich auch wirtschaften“. Konkretes über Budgets und Finanzen will er nicht verraten. Nur so viel: Das Management der Erwartungshaltung des Konzerns sei eine Hürde. Fortwährend.

Klaus-Peter Stiefel vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (ILO) in Stuttgart kann sich gut vorstellen, was damit konkret gemeint ist. Er hat eine Studie über „Corporate Innovation Labs“ angefertigt, für die er und sein Team 17 deutsche Unternehmen zu ihren Erfahrungen mit Zukunftslabors befragt haben. Konzerne wie Bayer und die Deutsche Bank waren darunter, aber auch Mittelständler wie der Prothesenfabrikant Otto Bock Health care oder der Büroartikelhersteller Soennecken, zudem mehrere Berater.

Gesprächspartner:innen zu finden war nicht schwer. Denn Unternehmenseinheiten, die außerhalb der klassischen Organisation mit neuen Ideen experimentieren, erleben in Berlin und darüber hinaus gerade einen nie da gewesenen Boom. Dabei ist der Trend bereits mehr als 30 Jahre alt – und geht zurück auf ein amerikanisches Ehepaar. In den Achtzigerjahren befanden sich Matt und Gail Taylor, er Architekt, sie Lehrerin, auf einer Mission.

Sie wollten der US-Unternehmenslandschaft beibringen, dass es künftig nicht nur auf schwarze Zahlen, sondern auch auf bunte Ideen ankommen würde. Also machten sie sich mit ihrer Firma MG Taylor als Kreativitätscoaches selbstständig – und warben in ihren Seminaren unter anderem dafür, dass Unternehmen neue Ideen am besten in eigens dafür vorgesehenen Bereichen entwickeln.

So entstanden Innovation Labs – und die erfreuen sich vor allem in Zeiten der Digitalisierung steigender Beliebtheit. Gab es vor sechs Jahren, als die Lufthansa ihren Hub errichtete, in Deutschland erst ein Dutzend ähnlich gelagerter Initiativen, kommen aktuelle Zählungen auf mehr 100 Einrichtungen – allein in Berlin. Weltweit soll es über 1000 größere Labors geben. Zwei Drittel der Dax-Konzerne sind in der Hauptstadt mit eigenen Innovation Labs, Akzeleratoren, Company Buildern oder ähnlichen Denkerzellen vertreten. Aber wann lohnt sich die Investition in die Zukunft – und wann nicht?

„Viele Innovation Labs stehen unter einem erheblichen Rechtfertigungsdruck“, sagt Fraunhofer- Forscher Klaus-Peter Stiefel. Daher müssten sie oft möglichst schnell greifbare Ergebnisse liefern. Für ein Labor, das sich eigentlich über Ergebnisoffenheit und vielfältige Möglichkeiten zum Scheitern definiert, kann das zur Zerreißprobe werden.

Astrid Maier und Milena Merten sprechen im ada-Podcast über Innovation.

Günstiger versagen


Stiefels Forscherteam hat das während der Arbeit an der Studie selbst erlebt: Der Berliner Open Innovation Space von Otto Bock Healthcare, 2015 errichtet, mit feinsten 3-D-Druckern, Laser-Cuttern und Fräsmaschinen ausgestattet und als Labor zur freien Nutzung für Jedermann gestartet, wurde während der Recherchen Mitte 2018 in eine geschlossene Innovationsabteilung umgewandelt.

Der Gesprächspartner, den die Autoren kurz zuvor interviewen konnten, ahnte wohl bereits, wie die Sache ausgehen würde: „Irgendwann“, erzählte er den Forschern wenige Wochen vor dem Ende, „wird gemessen werden, wie diese Vorentwicklungsergebnisse tatsächlich in kommerzialisierbare Lösungen überführt werden können und damit aus diesem Costcenter ein Profitcenter gemacht werden kann.“

In dieser Kosten-Nutzen-Bewertung von Innovationen liegt nicht nur ein entscheidendes Risiko für Zukunftslabors – sondern letztlich ihre größte Chance, sagt Stiefel. „Labs eignen sich hervorragend dazu, die Kosten des Scheiterns zu begrenzen.“ Eine Forschungsabteilung müsse sich irgendeiner speziellen Fachfrage widmen, weil beispielsweise die Abgaswerte eines Motors schnell und entscheidend verbessert werden sollen.

Innovation Labs hingegen seien vom Tagesgeschäft abgekapselt, sodass kein großer Schaden entsteht, wenn mal etwas daneben- oder völlig schiefgeht. Forschungs- und Entwicklungsabteilungen seien außerdem oft schon damit ausgelastet, bestehende Techniken fortzuentwickeln, sagt Stiefel: „Da bleibt kaum die Zeit, Dinge von Grund auf neu zu denken.“ Mehr als nur ein paar Kilometer Abstand zur Zentrale seien dafür sicherlich hilfreich.

Innovationslabors kommt aber neben der Suche nach neuen Ideen noch eine weitere Aufgabe zu: Sie können den Kulturwandel weg vom perfektionistischen Ingenieurdenken durch Anstöße von außen beschleunigen. Raus aus der Kernorganisation, rein in einen geschützten Raum, wo schnell digitale Geschäftsmodelle mit neuen Methoden entwickelt, getestet und umgesetzt werden können.

Innovationsspirit


Es lässt sich kaum bestreiten, dass viele der jüngeren Innovationslabors dabei einer gewissen Mode folgen. Schon äußerlich vertrauen viele auf den Industriecharme unverputzter Räume mit hohen Decken und wenigen Wänden. Möbel sollen in der Regel beweglich sein, bunte Farben und runde Formen sind ebenso gefragt wie Lounge-Möbel und schicke Küchen.

Nicht nur die Innenarchitekten übersetzen den Anspruch, andersartig und modern zu sein, erstaunlich oft mit denselben Ideen und Werkstoffen. Auch bei Organisation und Arbeitsweise haben sich Routinen der Innovation entwickelt: Kollaboration, Hierarchiefreiheit und Diversität – die vermeintliche Blaupause für Kreativität taugt bestenfalls noch fürs Buzzword-Bingo. Ja und? „Nur weil etwas nicht mehr ganz neu ist, muss es nicht zwingend falsch sein“, sagt Igor Schwarzmann. „Als ob es in so einem Labor bloß um Methoden oder Möbel ginge.“

Schwarzmann hat einen gewissen Anteil daran, dass viele der Einrichtungen ähnlichen Riten anhängen und vergleichbaren Techniken folgen. Er ist Mitgründer des Berliner Beratungsunternehmens Third Wave, das sich auf Zukunftsforschung und Technologie konzentriert und Konzerne wie die Deutsche Bahn, Postbank, Deutsche Telekom, Innogy, Daimler und Volkswagen zu seinen Kunden zählt – die ihrerseits zum Teil gleich mehrere Innovationseinheiten ausgebaut haben.

Schwarzmann ist grundsätzlich von der Labor-Idee überzeugt: Die Voraussetzung sei allerdings, dass erstens alle einig darin seien, wo sie hinwollen. Zweitens dürfe am Anfang noch niemand wissen, was eines Tages herauskommt. Anders gesagt: Das Ziel steht fest, der Weg ist offen. „Bei Innovation Labs besteht immer die Gefahr, dass die Zentrale sie für das Outsourcing akuter Probleme missbraucht“, sagt Schwarzmann. Dafür sind aber die eigenen Ingenieure zuständig – und nicht die Zukunftsforscher im fernen Berlin.

Da ist sie wieder: Die Grundfrage nach dem richtigen Maß an Distanz und Nähe. Denn wenn das Labor helfen muss, irgendeine App zu verbessern, kann es seinen eigentlichen Zweck nicht erfüllen, in die Zukunft zu schauen. Kapselt es sich umgekehrt zu sehr vom eigentlichen Stammgeschäft ab, droht es ebenfalls zu scheitern, weil es die Anschlussfähigkeit verliert.

Lernraum für die Organisation


Berater Schwarzmann hat da einen pragmatischen Tipp. Er schlägt vor, den Erfolg eines Innovation Labs daran zu messen, wie gut es ihm gelingt, die Ergebnisse der eigenen Arbeit im Unternehmen bekannt zu machen. Wie viele Leute aus der eigenen Organisation sind am Anfang eines Jahres überzeugt von der Mission des Innovation Labs – und wie viele am Ende? Wer das regelmäßig misst und gegenüberstellt, erzeugt einen kontinuierlichen Austausch zwischen dem Labor und der Zentrale. „Genau das braucht es“, sagt Schwarzmann, „um die Arbeit im Labor in das Tagesgeschäft zu überführen.“

Klaus-Peter Stiefel vom Fraunhofer-ILO rät außerdem zu regelmäßigem Personalaustausch: Zumindest bei größeren Innovation Labs sei es sinnvoll, stets mehrere Projektgruppen im Lab zu platzieren und Mitarbeiter:innen aus anderen Abteilungen ein temporäres Heim zu bieten – immer mit anderen Projektlaufzeiten, sodass das Personal ständig in Bewegung ist. „So kann nahezu immer zumindest ein Team als Kulturträger und Vermittler wirken“, sagt er.

Die wahre Bestimmung des Labors besteht nach einhelliger Meinung nicht allein darin, dass digitale Spezialisten in einer entrückten Umgebung großartige Ideen aushecken. Ein Innovation Lab sollte vielmehr ein Lernraum sein für die gesamte Organisation. „Dazu braucht es Menschen, die etwas zu erzählen haben und erzählen wollen über die Zukunft des Unternehmens – und die diese Erzählung in die Organisation tragen“, sagt Igor Schwarzmann. Er spricht von einem digitalen Narrativ, andere nennen es Changemanagement.

Wer das zu theoretisch findet, kann ein passendes praktisches Beispiel im Lufthansa Innovation Hub begutachten. Der hat in den vergangenen sechs Jahren schon einige Strategiewechsel hingelegt. Anfänglich sollte das Team tatsächlich auch schlecht laufende Geschäftsprozesse im Unternehmen modernisieren, so was erledigen sie inzwischen lieber wieder in den Abteilungen. Dann sammelte man Erfahrungen als Wagnis finanzierer von Technologie-Startups und suchte nach Unternehmen, die sich für Partnerschaften eignen. Inzwischen kauft man nur noch zu, falls der Konzern eine Technologie wirklich benötigt.

Auch wurde eine eigene Marktforschungsabteilung aufgebaut, zudem startete 2019 eine Abteilung namens Transform. „Wir haben erkannt, dass eine tief greifende Vernetzung und ein Austausch mit dem Konzern ein wesentlicher Erfolgsfaktor unserer Arbeit ist“, sagt Geschäftsführer Gleb Tritus, „deswegen haben wir uns entschieden, dies noch stärker über unsere kulturelle Transformationseinheit voranzutreiben.“

Das neue Team soll Erkenntnisse, Methoden und Denkweisen in den Konzern tragen, um dort „eine am Markt orientierte digitale Innovationskultur zu verankern“, sagt er. Wie das gehen soll? Bei der Lufthansa-Tochter denkt man an Wissensplattformen, Eventformate – und an regelmäßigen Ideenaustausch: Fast jede Woche sind zwei Teams aus dem Konzern in Berlin zu Gast.

Wer so etwas schafft, muss am Ende auch nicht mehr irgendeine App präsentieren, um seinen Erfolg nachzuweisen. Es könnte ganz anders kommen: „Wenn der Kulturwandel gelingt, dann sind die Mutterorganisationen irgendwann selbst so agil und zukunftsfähig, dass sie gar kein Lab mehr brauchen“, sagt Fraunhofer-Forscher Klaus-Peter Stiefel. „Der größte Erfolg eines Innovation Labs wäre also: Es schafft sich ab.“

Titelbild: LH Innovationshub

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