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  • 03.08.2021
  • Manuel Heckel

Begeisterung für Audio: Hört, hört!

Podcast, Sprachnachrichten, Clubhouse: Immer mehr Menschen nutzen ihr Smartphone, um sich Inhalte anzuhören – und hier und da auch mitzusprechen. Kopfhörer sorgen dafür, dass die Hörer:innen auch im hektischen Alltag tief abtauchen können, Plattformen erleichtern die Verbreitung. Doch für die eigentliche Faszination sorgt ein widersprüchlicher Mix an Emotionen.

Der digitale Türsteher gibt den Eingang frei: Der Zugang zur Audio-App Clubhouse ist seit wenigen Tagen auch möglich, ohne von einem bestehenden Mitglied eingeladen zu werden. Diese Verknappungsstrategie hatte zuvor für einen Hype der Plattform gesorgt. Zum Teil wurden Einladungscodes für hunderte Euro versteigert. Und das nur, um bei einem sozialen Netzwerk mitsprechen zu können, das ausschließlich auf Audio setzt: In Clubhouse-Räumen trafen sich Groß und Klein zum direkten Austausch – eine Mischung aus spontan einberufener Telefonkonferenz und digitaler Podiumsdiskussion.

Die große Begeisterung für Clubhouse, die insbesondere die deutsche Tech- und Medienszene rund um den Jahresbeginn ergriffen hatte, ist bereits abgeebbt. Heute finden sich nur noch selten Räume, in denen Nutzer:innen mit Prominenten wie Moderator Joko Winterscheidt, Fußballer André Schürrle oder Influencerin Caro Daur diskutieren können. Lange Zeit war die App ausschließlich Nutzer:innen des Apple-Betriebssystems iOS vorbehalten, erst im Mai folgte eine Android-Version. Mit der Öffnung für alle ist die Anwendung endgültig vom Trend-Thron im App-Alltag angekommen. Doch trotzdem ist Clubhouse eine Erfolgsgeschichte: Innerhalb eines Jahres wurde die App mittlerweile fast 25 Millionen Mal heruntergeladen, das Start-up dahinter wurde zeitweise mit etwa vier Milliarden Dollar bewertet.

Alle wollen Audio
Ein wenig Mitsprechen, aber vor allem viel Zuhören: Die Begeisterung für Audio-Inhalte nimmt ungebrochen zu. Das gilt für Audio-Netzwerke wie Clubhouse oder die aus dem Boden gestampften Klone von Twitter oder Facebook ebenso wie für privat verschickte Sprachnachrichten via WhatsApp oder andere Messenger-Apps. Wegbereiter für den Trend sind jedoch seit einigen Jahren Podcasts. Weltweit stieg die Nutzung während der Corona-Krise noch einmal an: Zwar entfielen die Hörstunden beim Pendeln, dafür lief der Podcast-Player während der Hausarbeit oder bei Spaziergängen. „Podcasts haben eine wichtige Rolle in vielen Lockdown-Routinen gespielt“, analysiert der Digital News Report, der vom Reuters Institute und der Universität Oxford herausgegeben wird. Die Studienlage schwankt – laut Digital News Report hat sich aber jede:r vierte Deutsche im vergangenen Monat mindestens einmal eine solche Mediendatei angehört. 

Doch woher kommt die Faszination für das gesprochene Wort? Die reine Begeisterung für ein neues Medienformat kann es nicht sein. Podcasts, anfangs auch Audioblogging genannt, existieren seit Anfang der 2000er Jahre. In Deutschland ist beispielsweise Tim Pritlove bereits seit 2005 mit einem Podcast unterwegs. Formal betrachtet sind Podcasts MP3-Dateien, versehen mit einem sogenannten RSS-Feed, der ein einfaches Abonnement von neuen Folgen ermöglicht. Doch eine Mischung aus technischen und emotionalen Gründen sorgen dafür, dass Audio-Inhalte immer besser ankommen. 

Problemlos zum Podcast
Am einfachsten lassen sich dabei noch die technischen Treiber des Trends nachvollziehen: Die flächendeckende Durchdringung von Smartphones sorgt dafür, dass nahezu jede:r Bürger:in einen Internetzugang mit sich herumträgt. Audiodateien verbrauchen vergleichsweise wenig Datenvolumen – und lassen sich vor Zugfahrten mit wackeliger Verbindung auch leicht herunterladen. Umgekehrt ist auch die Produktion einfach: Neben ein wenig Sendungsbewusstsein wird nicht viel mehr als ein Aufnahmegerät und ein Schnittprogramm benötigt. Der Analysedienst Chartable zählte für das Jahr 2020 weltweit mehr als 17.000 neue Podcasts – pro Woche. Ein Drittel davon schaffte nur eine oder zwei Folgen und verstummte wieder. Denn je größer das Angebot wird, desto schwieriger wird es auch, eine größere Zielgruppe zu erreichen. 

Dabei helfen Medienplattformen, den Zugang immer weiter zu erleichtern. Der Musikstreamingdienst Spotify ist laut Digital News Report etwa in Deutschland das meistgenutzte Portal für Podcasts. Auf Platz zwei findet sich eine Überraschung: Die Videoplattform Youtube nutzen immer noch 22 Prozent der Befragten, um Audio-Inhalte zu hören. Auf Platz drei folgt mit der ARD-Mediathek ein traditioneller Anbieter. Häufig seien die Plattformen dabei nicht unbedingt auf Podcasts ausgerichtet, sagt Lukas Herzog, wissenschaftlicher Mitarbeiter am journalistischen Seminar der Uni Mainz. Die Darstellung ist nicht optimiert, Kapitelmarken sind nicht ansteuerbar. Aber: „Die Dienste kennt und nutzt jeder – dieses Vorhandensein schlägt die Features.“ 

Deutlich komplexer ist die Gemengelage jedoch, wenn es um die emotionalen Faktoren geht, die den Audio-Trend befeuern. Eine These: „Wir haben die Überflutung mit immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit, aber es gibt den Wunsch nach einer tiefergehenden, ausführlicheren Beschäftigung mit einem Thema“, sagt Herzog. Ein Paradebeispiel aus dem vergangenen Jahr war das Coronavirus-Update des NDR, in dem Virologe Christian Drosten anfangs täglich im Detail aktuelle Erkenntnisse und Studien auseinandernahm. 

Zwischen Beiläufigkeit und Bedeutung
Das gilt auch für die vielen Podcasts, die sich auf Nischenthemen aus Wirtschaft oder Wissenschaft fokussieren. Gespräche über dreißig Minuten oder länger liefern hier mehr Eindrücke als die meisten Zeitungsartikel. Gleichzeitig können Hörer:innen dem gesprochenen Wort folgen, während sie unterwegs sind, auf dem Laufband stehen oder das Abendessen zubereiten. „So kann man die Zeit, die vielleicht als unproduktiv wahrgenommen wird, mit etwas Sinnvollem füllen“, vermutet Herzog – und untersucht diesen Gedanken in seiner Doktorarbeit: „Das passt zur Idee der Selbstoptimierung.“ 

Podcasts und andere Audio-Inhalte balancieren dabei irgendwo zwischen einer Nebenbeschäftigung und einer intensiven Verbindung – und vereinen so die Widersprüchlichkeit unserer Zeit perfekt. Viel ist darüber philosophiert worden, dass die sogenannte Millennial-Generation immerzu auf der Sinnsuche ist, sich nach Tiefgang und echter Verbindung sehnt. Gleichzeitig neigt sie zur Selbstoptimierung und kann Leerzeiten ohne Input von außen nur schwer ertragen.

Podcasts und Live-Audio-Formate scheinen beide Bedürfnisse zu befriedigen. Die Art des Medienkonsums sorgt häufig dafür, dass sich Hörer:innen schneller und stärker mit den Sprecher:innen identifizieren. „Audio ist ein intimes Medium“, schreibt Damian Radcliffe, Journalismus-Professor an der Universität von Oregon. „Man hört den Tonfall in den Stimmen, die Emotionen und auch die Persönlichkeit in einer Art, die Texte allein nicht liefern können.“

Das traditionelle Radio läuft meist als Alltagsbegleiter im Hintergrund. Podcasts, die häufig über Kopfhörer konsumiert werden, wirken noch intensiver und direkter. Expert:innen sprechen von „parasozialer Interaktion“: Die Sprecher:innen reden in ein Mikrofon, die Hörer:innen fühlen sich dennoch schnell als Teil einer verschworenen Gemeinschaft. Auch sogenannte Laberpodcasts, deren Hosts ohne speziellen thematischen Fokus unterwegs sind, bauen so enorme Communitys auf: Das Duo Felix Lobrecht und Tommi Schmitt, bekannt als „Gemischtes Hack“, wird pro Folge mehr als eine Million Mal gehört – und zählt bei Spotify zu den meistgehörten Podcasts der Welt. 

Suche nach dem nächsten digitalen Lagerfeuer
Viele bekannte Podcaster:innen machen dieses Gemeinschaftsgefühl auch zu einem Geschäftsmodell: Sie laden zu Live-Veranstaltungen in Konzerthäusern und Clubs ein oder verkaufen T-Shirts und Tassen, um eine Verbindung zu ihren Hörer:innen aufzubauen. Clubhouse hat die Möglichkeit, tatsächlich in Echtzeit zu interagieren, auf die Spitze getrieben. Das sorgte insbesondere im veranstaltungsarmen Lockdown-Winter für Begeisterung – brachte aber auch einige Nachteile im Vergleich zu Podcasts mit sich: Live-Audio bedeutet, dass Hörer:innen nicht frei über die Zeit und den Ort des Medienkonsums verfügen könne. „Mit der Beiläufigkeit wird es so schwieriger“, sagt Wissenschaftler Herzog. 

Dennoch sind die meisten Expert:innen davon überzeugt, dass das Format Audio noch lange nicht am Ende ist. Heute erinnern viele Podcasts an klassische Radiosendungen – mal simpel als Gespräch aufgebaut, mal aufwendiger produziert mit Einspielern. Doch das Strohfeuer von Clubhouse hat gezeigt, wie schnell neue Ideen verfangen können. Der Fantasie für neue Formate sind dabei keine Grenzen gesetzt: Vielleicht erreichen Podcasts in Zukunft ihre volle Entfaltung in Kombination mit Sprachassistenten. Die könnten Inhalte im interaktiven Dialog mit den Hörer:innen erzählen – wer mag, lässt sich nur berieseln, wer „mitreden“ will, stellt Zwischenfragen und entscheidet damit über den weiteren Verlauf der Folge. „Clubhouse mag vielleicht das aktuellste digitale Lagerfeuer gewesen sein“, schreibt Wissenschaftler Radcliffe, „aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass es das letzte gewesen sein wird.“

Achtung, Aufnahme! Auf welchen Plattformen Live-Audio möglich ist:


Clubhouse

Die App startete den Boom für Live-Audio. Nach eigenen Angaben werden heute bis zu einer halben Million Räume täglich eröffnet – allen Nutzer:innen steht es frei, auch eine eigene Bühne zu eröffnen. Das junge Unternehmen stand zu Beginn wegen intransparenter Datenschutzhinweise in der Kritik.

App Screenshot: Clubhouse Press Kit


Twitter Spaces

Der Kurznachrichtendienst schickte sein Audio-Feature im vergangenen November in den Testbetrieb. Seit Mai können nach und nach alle Nutzer:innen eine eigene Bühne in der App eröffnen. Bis zu zehn weitere Sprecher:innen kann der oder die Initiator:in dazu holen. Potenziell kann dabei jede:r Twitter-Nutzer:in mitmachen.

Bild: Twitter Blog


Facebook Live Audio

Das soziale Netzwerk stellte sein Feature zunächst nur Medienunternehmen zur Verfügung. Nun testet der Konzern das Format auch mit prominenten Nutzer:innen – im Laufe des Sommers sollen dann auch normale Mitglieder die Funktion verwenden können. Zunächst sollen bis zu 50 Sprecher:innen pro Raum möglich sein.

App Screenshot: about.fb


Spotify Greenroom

Der Musikstreamingplattform machte der Erfolg von Clubhouse etwas Angst – die Schweden übernahmen im März den Live-Audio-Dienst Locker Room. Als „Greenroom“ tauchte die separate App nun bei Google und Apple auf. Aktuell befindet sie sich jedoch in der Entwicklungsphase.

App Screenshot: Spotify/Greenroom


Discord Sprachkanal

Das dezentrale Netzwerk war zu Beginn vor allem bei Computerspielern bekannt und beliebt. Mittlerweile nutzen auch viele andere Menschen den Dienst. Hier lassen sich auch Sprachkanäle einrichten, über die in größeren Gruppen gechattet werden kann.

Bild: Discord


Start-ups

Einige junge Tech-Unternehmen waren bereits vor dem Clubhouse-Hype am Start, andere eiferten dem Erfolg nach: Dienste wie Deepdive aus Deutschland oder Angle aus der Schweiz setzen ebenfalls auf Live-Audio. Noch sind hier aber nur sehr wenige Nutzer:innen unterwegs – Dive hält zudem an einer strikten Einladungspolitik fest.

Bild: Angle.audio

Titelbild: Avi Richards/Unsplash

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