Im vergangenen Jahr wurde viel darüber spekuliert, dass die Pandemie eine Automatisierungswelle auslöst. Doch für den Wandel in der Wirtschaft müssen die Voraussetzungen stimmen.
Die Szene könnte sich genau so auch in einem Science-Fiction-Film zutragen: Der intelligente, aber etwas verrückte Multi-Milliardär präsentiert seinen humanoiden Roboter – statt einem Gesicht hat dieser einen Bildschirm, der Rest seines Körpers ist strahlend weiß. Elon Musk hat im August einen Prototyp seines „Tesla-Bot“ präsentiert. Der 1,80 Meter große und 60 Kilogramm schwere Roboter soll in Unternehmen vor allem für körperliche Tätigkeiten wie schweres Heben und sich wiederholende Aufgaben eingesetzt werden.
Bei der Präsentation von Musk stand allerdings noch nicht der tatsächliche Roboter auf der Bühne, sondern ein Schauspieler im Roboterkostüm. „Wir werden ihn so programmieren, dass er mechanisch und physisch so beschaffen ist, dass man ihm davonlaufen und ihn wahrscheinlich überwältigen kann“, scherzte Musk bei der Präsentation. Dabei ist die Sorge vieler Menschen wohl nicht, dass sie von einem Tesla-Bot angegriffen werden – sondern vielmehr, dass er ihren Arbeitsplatz übernehmen könnte.
Musks Pläne mögen angesichts des fehlenden echten Prototypen wie Spinnerei erscheinen. Doch wie so oft beweist der Tech-Pionier ein Gespür für die Trends, die Wirtschaft und Gesellschaft bewegen. Denn die Pandemie hat eine zentrale Frage aufgeworfen: Was tun, wenn Menschen ihren Aufgaben im Produktionsprozess und in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen nicht mehr nachkommen können – sei es, weil sie erkrankt sind, sei es, weil sie einander möglichst wenig begegnen sollen, um Ansteckungen zu vermeiden? Wie können wir systemkritische Infrastrukturen und Prozesse dennoch weiter betreiben? Für Unternehmen schließt sich eine weitere Frage nahtlos an: Wie können wir die Produktivitäts-Lücken der vergangenen Jahre ausgleichen und die Rückschläge wieder aufholen? Angesichts der großen Fortschritte, die Robotik-Forscher:innen und -Entwickler:innen in den vergangenen Jahren erzielt haben, liegt die Antwort für viele Unternehmen nahe.
Der „Tesla-Bot“ sieht äußerst futuristisch aus – ist bisher aber nicht mehr als ein Prototyp. Foto: Tesla
Einer Studie des International Monetary Fund (IMF) zufolge nimmt die Akzeptanz von Robotern, gemessen an neuen Roboterinstallationen pro 1000 Beschäftigte, nach einer Pandemie zu. Das gilt insbesondere dann, wenn die Auswirkungen auf die Gesundheit schwerwiegend sind und die Pandemie mit einem erheblichen wirtschaftlichen Abschwung einhergeht. Diese Schlussfolgerung zogen die IMF-Ökonom:innen aus Daten zur Einführung von Industrierobotern nach der Sars-Pandemie 2003, der „Schweinegrippe“ 2009, dem MERS-Virus 2012 und Ebola im Jahr 2014. Setzt sich das Muster fort, dann wird laut den Forscher:innen auch die aktuelle Covid-19-Pandemie die Akzeptanz von Robotern in der Wirtschaft vorantreiben.
Laut der Unternehmensberatung Deloitte haben Unternehmen während der Pandemie tatsächlich bereits verstärkt auf automatisierte Technologien und Roboter zurück gegriffen. Die Autor:innen der „Intelligent Automation“ Studie 2020 schreiben: „Einige Unternehmen konnten durch Automatisierung ihre Geschäftsprozesse neu erfinden, andere konnten zumindest ihre Kernprozesse während des Lockdowns aufrechterhalten.“ Insgesamt nutzen zwei Drittel aller befragten Unternehmen Automatisierung zur Bekämpfung der Auswirkungen von Covid-19. Ein weiteres Drittel steigerte Investitionen in robustere, Cloud-basierte Automatisierung.
Die Zukunft der Robotik ist eher alltäglich
Laufen also bald überall Tesla-Bots durch Werkshallen, über Büroflure und durch die Gänge von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen? So spektakulär wie in Elon Musks Vision wird die Automatisierungswelle wohl eher nicht aussehen. Die Zukunft der Robotik ist viel profaner. Schweißen, montieren, heben oder etikettieren – vor allem in der Industrie sind Roboter wie etwa die des Maschinenbauers Kuka längst im Einsatz. Auch in der Pflege, im Handwerk und der Logistik übernehmen Roboter immer häufiger Aufgaben, die bislang von menschlichem Personal ausgeführt wurden – doch meist sind sie dabei keine autarken, sich selbst steuernden Maschinen. Sondern eher Hilfsmittel, die ihren menschlichen Kolleg:innen die Arbeit erleichtern sollen.
Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group kommt zu dem Schluss, dass neben den konventionellen Industrierobotern vor allem fest installierte Maschinen in der Medizin und der Landwirtschaft zum Einsatz kommen werden. Außerdem mobile Roboter, die etwa beim Putzen, auf dem Bau oder bei Unterwasser-Einsätzen helfen. Auch fahrerlose Transportfahrzeuge werden den Alltag in vielen Werks- und Lagerhallen erleichtern. Zudem kommen etwa im Handwerk, in der Logistik, Industrie und der Altenpflege inzwischen sogenannte Exoskelette zum Einsatz: Unternehmen wie German Bionic entwickeln die mechanischen Hilfen, die sich wie ein Rucksack anziehen lassen und dann bei schweren Hebe-Bewegungen oder Über-Kopf-Arbeiten den Rücken entlasten.
Exoskeletten können schon heute bei schweren körperlichen Arbeiten für Entlastung sorgen. Foto: German Bionic
Wie schwierig es aller technischen Fortschritte zum Trotz sein kann, Prozesse vollständig zu automatisieren und menschliche Arbeit so zu ersetzen, dass auch wirklich Produktivitätsgewinne dabei herauskommen, zeigt ein Blick in die Landwirtschaft. Landwirt Leonhard Große Kintrup greift in seinem Betrieb schon lange auf automatisierte Systeme zurück. Auf seinem Milchhof in Münster kommen gleich mehrere Roboter zum Einsatz, die ihn und seine Mitarbeiter:innen entlasten. Neben einem Melk- und einem Entmistungsroboter lässt vor allem der Fütterungsroboter seinen Betrieb herausstechen.
Er war einer der ersten Landwirte mit Rindvieh-Betrieb in Deutschland, die in eine solche Maschine investiert haben. Große Kintrup beobachtet, dass die Pandemie die Bereitschaft der Landwirte, in neue Technologien zu investieren, verändert hat. Die Krise habe verdeutlicht, dass es für die Betriebe immer schwieriger wird, gutes Personal zu finden. „Hinzu kam, dass man natürlich versucht hat, möglichst kontaktlos und mit wenig Menschen vor Ort zu arbeiten“, sagt Große Kintrup.
Dabei hilft die Technologie: Wenn Roboter Arbeiten übernehmen, die typischerweise viel Zeit kosten, können sich die Mitarbeiter:innen stärker auf Aufgaben wie die Qualitätskontrolle und das Tierwohl konzentrieren. Der Futterroboter etwa holt sich aus den Vorratsbunkern selbstständig die verschiedenen Futterkomponenten, mischt die richtige Ration an und fährt zu den Kühen. „Dank der Roboter kann der Wochenendbetrieb von einer einzigen Person übernommen werden“, sagt Große Kintrup. Ohne Fütterungsautomat müssen mindestens zwei Mitarbeiter:innen auch am Wochenende arbeiten. Ein weiterer Vorteil des Futterroboters ist, dass dieser den Kühen alle sechs Stunden frisches Futter bringt.
Es fehlt vor allem an der richtigen Infrastruktur
Auf den Höfen ist es ähnlich wie in den Fabriken: Wo Roboter fest installiert werden können, um repetitive Tätigkeiten zu übernehmen, lässt sich ihr Einsatz bereits gut planen, die Investition rechnet sich schnell. Neben der Tierhaltung gibt es in der Landwirtschaft auch in vielen anderen Bereichen den Bedarf und die Einsatzmöglichkeiten automatisierter Technologien. So können etwa Sensortechniken und Drohnen draußen auf den Feldern dabei helfen, Nutzpflanzen bestmöglich vor Unkraut oder Ungeziefer zu schützen und Maschinen aus der Ferne zu steuern. „Bei der Anwendung dieser digitalen Techniken haben die Bauern zwei Bedingungen: Sie müssen immer und überall funktionieren und sie müssen sich langfristig rechnen“, sagt Peter Pascher vom Deutschen Bauernverband.
Doch schon am ersten Punkt scheitert der Einsatz neuer Technologien häufig. „Damit solche Technologien funktionieren, braucht es eine stabile und leistungsfähige Internetverbindung, in naher Zukunft sogar 5G“, sagt Pascher. Doch davon können die Landwirte auf ihren Feldern und Weiden bislang nur träumen. „Die Bauern sind zunehmend unzufrieden mit der digitalen Infrastruktur, obwohl diese im ländlichen Raum in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden ist“ sagt Pascher. Die digitalen Anwendungsmöglichkeiten entwickeln sich deutlich schneller weiter als die dafür benötigte Infrastruktur.
Die soll in Deutschland zwar kommen – über das Wann und Wie sind sich Industrie und Wirtschaft aber chronisch uneinig. Und so bleibt die Lücke zwischen den potenziellen Möglichkeiten der Robotik und ihrem tatsächlichen Einsatz noch groß.
Womit wir wieder bei Visionär Musk wären. Der hat in diesem Jahr das hauseigene Satelliten-Internet Starlink auch auf den deutschen Markt gebracht. Dabei handelt es sich erstmal um eine Beta-Variante, langfristig sollen aber gerade Unternehmenskunden in abgelegenen Gebieten von dem Internetservice profitieren. Das ist nicht nur für Landwirte spannend, die langfristig für das Internet der Dinge, autonomes Fahren oder Maschinenkommunikation ein schnelles und verlässliches Internet überall auf der Welt brauchen. Erst wenn sich autonome Maschinen auch jenseits der Fabriktore und Arbeitsräume weitgehend frei bewegen und miteinander kommunizieren können, schöpfen sie ihr volles Potenzial aus.
Klar ist aber: Durch die Pandemie ist etwas in den Köpfen vieler Menschen in Bewegung gekommen. Selbst in Bereichen, die bislang nicht gerade als besonders technikfreundlich aufgefallen sind, öffnen sie sich jetzt für eine Zusammenarbeit mit Robotern. So tanzte etwa im Theater Augsburg mitten im Pandemiejahr ein Industrieroboter des deutschen Herstellers Kuka auf der Bühne mit Tänzer:innen des Ensembles – die Zuschauer:innen waren über VR-Brillen vom heimischen Wohnzimmer aus zugeschaltet. Vielleicht, wer weiß, tanzen sie hier dann bald mit einem Tesla-Bot. Oder jedenfalls mit einem Schauspieler, der sich als solcher verkleidet hat.
Titelbild: Thisisengineering Raeng/Unsplash