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  • 10.12.2021
  • Miriam Meckel

Aus den Tiefen der Blockchain

Dezentrale autonome Organisationen (DAO) wollen das Internet neu organisieren. Doch das Vorhaben ist aufwendig.

Da treten sie einfach an, die amerikanische Verfassung zu kaufen - und damit die Welt zu revolutionieren. Das passt so schön zu dem, was sich die Pioniere des Internets einst vorgestellt hatten: ein demokratisches Netzwerk, getragen und gestaltet von der Menge der Nutzerinnen und Nutzer. Und so hätte man es metaphorisch nicht bezaubernder machen können: Eine Gruppe von Krypto-Investoren tut sich zusammen, um "ConstitutionDAO" zu gründen und ein Originalexemplar der amerikanischen Verfassung zu erwerben. Zurück zu den demokratischen Ursprüngen, die der Menge gehören sollen, nicht aber den Eliten.

Eine DAO, eine dezentrale autonome Organisation (decentralized autonomous organization), ist der letzte Schrei im Gerede um die Zukunft des Internets. In einer solchen Organisation können sich beliebig viele Menschen zusammentun, um ein Ziel zu verfolgen oder eine Unternehmung zu starten. Sie müssen ansonsten nicht verbunden sein, jeder arbeitet dezentral an einem Teil des Projekts, das in allen Einzelheiten auf der Blockchain registriert wird. Wenn das Erfolg hat, geht die Zahlung oder Belohnung für den Einsatz entsprechend den zu Beginn über Smart Contracts festgelegten Regeln an die Beteiligten.

Einfach gesagt ist eine DAO eine Firma, die dezentral von ihren Mitgliedern geführt wird, ohne dass dafür je ein CEO notwendig ist. Ein wenig schwingt hier der alte Begriff der Genossenschaft mit, aber DAOs sind viel radikaler und auf Technologie aufgesetzt. Sie ändern nicht nur die Unternehmensstrukturen, sie brechen mit den Regeln der Hierarchie und Kontrolle, wie wir sie seit der Industrialisierung in der Unternehmenswelt kennen. Und: DAOs sollen auch das gesamte Internet revolutionieren.

Das funktioniert nämlich inzwischen ähnlich wie die Welt der globalen Unternehmen. Eine geringe Zahl riesiger Tech-Companies bestimmt, wo die Reise hingeht. Nix ist da mehr dezentral, hierarchiefrei und basisdemokratisch. "Wir haben gezeigt, dass das Web versagt hat, darin der Menschheit zu dienen", sagte Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web 2018, "und es hat an sehr vielen Stellen versagt".

Die Rettung soll nun durch das Web 3.0 in die Welt treten, und sie kommt aus den Tiefen der Blockchain. Im gegenwärtigen Internet laufen die meisten Anfragen über die zentralisierten Serverfarmen der großen Technologiefirmen, auf denen dann auch unsere persönlichen Informationen gespeichert werden. Im Web 3.0 werden diese Server durch die Blockchain ersetzt. Alle Daten werden in dezentralisierten Peer-to-Peer-Datenbanken gespeichert oder auf einer öffentlichen Blockchain, die eben niemandem gehört.

Damit kehrt auch ein weiterer Traum zurück, den das derzeitige Internet längst ausgeträumt hat: der Abschied vom Mediator, der den Großteil des Gewinns abschöpft. Viele Vermittler früherer Zeiten sind tatsächlich Geschichte, aber die großen Unternehmen wie Amazon, Facebook oder Google haben ihre Position eingenommen. An vielen Stellen sieht die Plattformökonomie von Big Tech ziemlich ähnlich aus wie die Händlerökonomie der Vergangenheit, nur alles ein bisschen größer und zentralisierter.

Im Web 3.0 soll das anders werden. Nicht große Firmen bieten an, was die Menschen wollen, sondern die organisieren sich selbst über DAOs, alles auf der Blockchain. Klingt großartig, und vielleicht steckt darin wirklich eine realistische Perspektive für die Neuorganisation zumindest von Teilen des Internets. Bis die Breitenwirkung aber entfacht ist, werden noch viele Datenströme ungestört über die Server der großen Technologieunternehmen fließen. Denn die Blockchain, auf der alles aufsetzen soll, ist ein teures Vergnügen.

Erstens setzt das Web 3.0 genau die Investments voraus, die vermutlich zuerst die großen Tech-Companies tätigen können. Zum Zweiten werden für jede Transaktion auf der Blockchain Gebühren, sogenannte "gas fees", fällig für die Energie, die benötigt wird, um die Transaktionen auf der Blockchain zu validieren und zu speichern. Und zum Dritten gibt es irgendwie immer jemanden, der mehr Geld, mehr althergebrachte Macht oder beides hat, um die eigene Position auch in neuen Strukturen zu verfestigen und der Begeisterung für die dezentrale Kryptowelt den Garaus zu machen.

Das Exemplar der amerikanischen Verfassung ging übrigens nicht an die "ConstitutionDAO". Obwohl die 47 Millionen US-Dollar eingesammelt hatte, ersteigerte die Verfassung für noch mehr Geld ein Mann namens Ken Griffin. Er ist CEO des Hedgefonds Citadel.

Miriam Meckel

Miriam Meckel ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von ada und Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, Schweiz. In dieser Kolumne schreibt sie alle zwei Wochen über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt bringen und unser Leben verbessern. Denn was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt einen Schmetterling.

Diese Kolumne erscheint sowohl beim Handelsblatt als auch bei uns. 

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