Apple-Nutzer:innen können jetzt selbst entscheiden, wer ihre Daten tracken darf. Das ist eine Disruption der gängigen Verbindung von digitaler Werbung und Datenschutz.
Es ist nur ein simpler Klick - und doch vielleicht das Ende eines Geschäftsmodells. Wer im iPhone in den Einstellungen auf "Datenschutz" klickt, findet nun an zweiter Stelle ein neues Feature namens "Tracking". Einmal darauf tippen, und mit einem Klick lässt sich entscheiden, wer die eigenen Daten über verschiedene Anwendungen und Webseiten hinweg durch die Tech-Anbieter nachverfolgen, sammeln und dann zu einem undurchsichtigen Konvolut personalisierter Informationen aggregieren kann. Dieses Tracking ist der Kern eines weltweiten Geschäftsmodells - jährlicher Wert rund 80 Milliarden Dollar. Es ist auch Herzstück des Onlinehandels. Was soll ein Klick daran ändern?
Viel. Mit dem neuen Betriebssystem iOS 14.5 hat Apple ein Feature eingeführt, das Nutzer:innen erlaubt, selbst zu bestimmen, ob sämtliche Apps ihre Daten sammeln dürfen. Die Innovation hat einen langen Vorlauf. Schon vor mehr als zehn Jahren hatte der verstorbene Apple-Gründer und CEO Steve Jobs sein Verständnis von Privatsphäre öffentlich deutlich gemacht. "Datenschutz bedeutet, dass die Leute wissen, worauf sie sich einlassen", sagte Jobs. Das war damals auch ein Seitenhieb gegen Google.
Tim Cook, sein Nachfolger als CEO, nimmt hier eine noch deutlichere Position ein. "Wir könnten eine Menge Geld verdienen, wenn wir unsere Kunden monetarisieren würden - wenn unser Kunde unser Produkt wäre", sagte Cook 2018 in einem Gespräch mit der US-Tech-Journalistin Kara Swisher. "Wir haben uns dafür entschieden, das nicht zu tun." Gefragt, was er machen würde, wenn er als CEO von Facebook mit den Folgen des Cambridge-Analytica-Skandals umzugehen hätte, sagte Cook kurz und knapp: "Ich wäre schlicht nicht in dieser Situation." Das war eine harte Kritik an Facebook. Und der Moment einer Weggabelung zweier Geschäftsmodelle im Technologiesektor. Eines basiert auf der weitgehenden Ausbeutung privater Daten, das andere setzt auf Produkte, die Datenschutz zum Qualitätsmerkmal erheben.
Bevor Datenschützer:innen nun in Jubel ausbrechen, gleich mal zwei Dämpfer: Tracking macht personalisierte Werbung möglich, und die kann durchaus Vorteile haben. Im Idealfall kriegt man die Anzeigen zugespielt, die einen wirklich interessieren. Nicht durch Masse, sondern durch Klasse funktioniert das Matching zwischen Angebot und Nachfrage. Dadurch ließe sich sogar die Menge an Werbung reduzieren, die auf Websites und in Apps auftaucht. Die Wirklichkeit sieht allerdings meist anders aus. In den Facebook- und Google-Produktfamilien erlebt man eindrücklich, was dieses Tracking praktisch bedeutet. Habe ich einmal einer Freundin auf WhatsApp das Foto einer Sonnenbrille geschickt mit dem Hinweis, die sei doch schön, taucht die Brille ziemlich sicher als Werbeposting in meinem Instagram-Feed auf. Eine E-Mail über Googles Mailprogramm zu neuen Gartenmöbeln, und fast jede besuchte Website wird mit Anzeigen für diese Möbel geflutet. Tracking hat das althergebrachte Geschäftsmodell der Anzeigenwerbung also nur zum Teil verbessert. Individualisierung ja, aber Reduzierung der Werbeflut? Fehlanzeige.
Zum anderen ist auch Apple nicht die neue Mutter Teresa des Datenschutzes, sondern ein Unternehmen, das ganz genau kalkuliert, was den eigenen Produkten helfen kann. Aber genau das ist hier interessant. Denn Apple gibt die Macht der kalkulierten Entscheidung an die Nutzer:innen weiter. Das Unternehmen erlaubt es, für jede App einzeln zu entscheiden, ob das Tracking möglich oder unmöglich sein soll. Ich kann meine Lieblingsmarke, meine bevorzugten Shoppinganbieter also anders behandeln als eine App, die meine Fotos nutzt und die Metadaten im Netz streut.
Apples "App Tracking Transparency Framework" ist ein Geschäftsmodell der Wahlfreiheit und damit eine Disruption der gängigen Verbindung von digitaler Werbung und Datenschutz. Es geht aus von mündigen Konsument:innen, die wissen, was sie wollen. Standardeinstellung ist die persönliche Entscheidung darüber, welche Daten man wie teilen will. Wer alles teilen möchte, kann das tun. Wer nichts teilen möchte, auch. Aufgeklärte Einwilligung kann Grundprinzip eines sehr erfolgreichen Geschäftsmodells sein. Ganz nach Kant: Habe Mut, deine eigene Wahlfreiheit zu nutzen.