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  • 18.10.2021
  • Milena Merten

#allesaufdentisch vs. YouTube

Youtube hat Videos der Aktionsgruppe #allesaufidentisch gelöscht – teilweise zu Unrecht, entschied das Kölner Landgericht. Der Fall offenbart einen Strategiewechsel der Plattform.

Die einen wollen „alles auf den Tisch“ bringen, die anderen den Tisch möglichst sauber halten – und beide sehen sich im Recht. So lässt sich, stark vereinfacht, ein Konflikt zusammenfassen, der diese Woche zwischen der Videoplattform Youtube und der Aktionsgruppe #allesaufdentisch eskalierte.  

Künstler:innen wie die Schauspieler Volker Bruch und Wotan Wilke Möhring haben – wie bereits im Frühjahr unter dem Hashtag #allesdichtmachen – eine Videoreihe produziert, in der sie die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, die Impfstoffe sowie die Medienberichterstattung zu Covid-19 kritisieren. Zu Wort kommen in den Clips unter anderem umstrittene Expert:innen wie der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, der Faktenchecks öffentlich-rechtlicher Medien als „Propagandamaschinen“ bezeichnet, oder der Mediziner Martin Haditsch, der behauptet, dass „Bürger direkt oder indirekt zu einem medizinischen Experiment”, der Impfung, “gezwungen“ würden. 

Youtube entschied sich deshalb, drei der 59 Videos zu löschen – mit der Begründung, sie verstießen gegen die Richtlinien der Plattform, weil sie Falschinformationen verbreiteten. Die Künstler:innen gingen dagegen vor – und erhielten Recht: Das Kölner Landgericht entschied am Montag, dass die Entfernung zweier Clips unzulässig war. Denn Youtube habe nicht dargelegt, welche Inhalte der Videos konkret gegen die Richtlinien verstoßen. Das Unternehmen ließ daraufhin eines der Videos wieder zu. Wenige Tage später löschte die Plattform jedoch erneut zwei Beiträge von #allesaufdentisch, wieder mit schlichtem Verweis auf die eigenen Richtlinien. 

Der Streit ist also noch lange nicht beendet. Auf der einen Seite steht die Künstlergruppe, die sich auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung beruft. Auf der anderen Seite ein Tech-Konzern, der wegen seiner Rolle in der Polarisierung von Debatten und Spaltung der Gesellschaft zunehmend in der Kritik steht und deshalb entschieden gegen Desinformationen und Verschwörungstheorien auf seiner Plattform vorgehen will.  

Die Macht des Konzerns und die Tragweite seiner Entscheidungen wurde vor wenigen Tagen in einer neuen Studie nachgewiesen. Forscher:innen am Center for Social Media and Politics der New York University untersuchten die Verbreitung von Falschinformationen zur US-Wahl. Dabei fanden sie heraus, dass die Zahl der kursierenden Verschwörungsvideos zu einem angeblichen Wahlbetrug in sozialen Netzwerken stark zurückging, nachdem Youtube strengere Regeln eingeführt hatte. Dieser sogenannte „Spill-Over-Effekt” war auch auf Twitter und Facebook deutlich bemerkbar.  

Megan Brown, Forscherin am N.Y.U. Center for Social Media and Politics, erklärte gegenüber der New York Times, dass diese Ergebnisse auf die tiefe Verknüpfung zwischen den großen Social-Media-Plattformen hinweisen: „Wenn Youtubes Plattform gesünder wird, werden es auch andere.“  

Dieser Verantwortung ist man sich bei Youtube offenbar inzwischen sehr bewusst – und will mit entsprechend konsequentem Einschreiten verhindern, dass man wieder einmal den Anstoß für einen Dominoeffekt der gesellschaftlichen Spaltung auslöst. Wenn der Konzern dabei mitunter zu weit geht, ist es die Aufgabe von Gerichten, ihn in die Schranken zu weisen – und ihn dazu zu bringen, gelöschte Inhalte wieder zu veröffentlichen.  

Insofern ist der Streit zwischen #allesaufdentisch und Youtube ein Beweis dafür, dass das Unternehmen tatsächlich einen Strategiewechsel vollzogen hat. Lange Zeit galt die Devise: erst einmal nichts tun und nahezu alles auf der eigenen Plattform gewähren lassen, bis jemand klagt. Nun heißt es: erst einmal restriktiv vorgehen – wenn dann jemand klagt, entscheiden Gerichte. Nur sie können in einem Rechtsstaat wirklich bindende Entscheidungen über die schwierige Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz vor Desinformation fällen. Und nur sie können klare Spielregeln definieren: Wenn Inhalte gelöscht werden, dann mit konkreter, transparenter Begründung.

Titelbild: allesaufdentisch.tv

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